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geleitet hätte. — Die betreffende Stelle lautet in der Verdeutschung von Rolfes

1

:

„Auf die genannten Systeme aber folgte die Spekulation P 1 a t o s, welche sich in

den meisten Stücken den letztgenannten Philosophen [den Pythagoräern] an-

schließt, jedoch auch im Vergleiche zu der Philosophie der italischen Denker man-

ches Eigentümliche hat. Da er nämlich in seiner ersten Periode schon ganz früh

mit K r a t y l u s und der Meinung H e r a k l i t s , daß alles Sinnliche bestän-

dig fließe und es keine Wissenschaft davon gebe, vertraut / worden war, so hielt

er diese Ansicht auch für die Folge fest. Da sich aber S o k r a t e s mit den sitt-

lichen Fragen befaßte und die ganze Natur beiseite ließ, hier aber in der Ethik

das Allgemeine suchte und als erster sein Augenmerk auf Begriffsbestimmungen

richtete, so zollte er ihm Beifall und meinte auf Grund jener Ansicht, das De-

finieren habe anderes zum Gegenstande, nichts Sinnliches; denn eine allgemein

gültige Bestimmung irgendeines sinnfälligen Dinges sei unmöglich, da diese sich

ja beständig änderten. Er gab nun jener Art des Seienden [das er voraussetzte,

auf das er nicht zu schließen brauchte; eigene Anmerkung] den Namen Idee...“

Aristoteles sagt nicht, er erfand die Ideen, er sagt nur, daß er ihnen den Namen

gab und nennt im Gegenteile P y t h a g o r a s als den Vorgänger! — Auch sonst

hebt Aristoteles das Ontologische stets hervor, zum Beispiel heißt es bald darauf:

„Da aber nach ihm die Ideen Ursachen für die andern Dinge sind, so glaubte er,

daß ihre Elemente Elemente alles Seienden wären.“

Das Ontologische steht als selbstverständlich voran. Auch hat Aristoteles gerade

an dieser Stelle den Vorrang der Pythagoräer in der Ideenlehre ausgesprochen,

indem er sagte: „Die P y t h a g o r ä e r lassen die Dinge durch Nachahmung

der Zahlen existieren, P l a t o aber durch Teilnahme, was nur ein anderes Wort

ist. Was aber diese Teilnahme an den Ideen oder diese Nachahmung eigentlich

ist, das haben sie andern zu untersuchen überlassen.“ Und vorher: „Mit dem

Ausdrucke Teilnahme war aber nur ein neues Wort [durch Platon] aufge-

bracht.“

Aus all dem folgt: daß die platonischen Ideen ihrem Ursprunge

nach nicht Allgemeinbegriffe, sondern ontologische Wesenheiten

sind. Unter anderen Eigenschaften haben sie allerdings auch diese,

die Erkennbarkeit der Dinge trotz ihrer Veränderungen zu be-

gründen.

Zur A n n a h m e v o n I d e e n k o n n t e k e i n a n d e -

r e s D e n k e n k o m m e n a l s d a s r e l i g i ö s - m e t a -

p h y s i s c h e . Die erkenntnistheoretischen Krücken hätten nie-

mals dahin geführt. Wer das Wesen der Idee einmal begriffen hat,

sieht ein, daß j e d e metaphysische Auffassung des Seins, indem sie

das Sinnliche in einem Übersinnlichen verankert sieht, notwendig

zur Annahme der „Idee“ führt — denn diese ist nichts anderes als

die übersinnliche Schaffenskraft, die über oder in den Dingen wal-

tet. Darum ist zu wiederholen, was oben schon ausgesprochen /

wurde, daß in jedem religiösen Denken, ganz besonders aber im

* S.

1

Aristoteles: Metaphysik, übersetzt von Eugen Rolfes, 2. Aufl., Leipzig 1920,

S. 17 (= Philosophische Bibliothek, Bd 2 b—3 b).