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gesehen die Zellerische Meinung von der erkenntnistheoretischen

Begründung der Ideenlehre unhaltbar wird. Darüber mögen wenige

Bemerkungen genügen.

Schon im „Menon“, wo die Lehre von der Wiedererinnerung,

άνάμνεοις,

entwickelt wird, geht Platon u n t e r B e r u f u n g a u f P r i e s t e r w e i s -

h e i t u n d a u f d e n f r o m m e n P i n d a r

1

von der Unsterblichkeit der

Seele und ihrem Vorsein aus. Unsere Gedanken und Begriffe sind nach der Wie-

dererinnerungslehre e r w e c k t e (aber in uns schlummernde und in diesem

Sinne auch angeborene) Vorstellungen, die aus der Schau der Seele in ihrem

Vorsein stammen. „Die Seele hat im wechselnden Dasein alle Dinge auf Erden

und im Hades kennengelernt.“

2

Von Begriffen und von einer „Hypostasierung“

unserer Begriffe ist hier nirgends die Rede, sondern umgekehrt: die Begriffe wer-

den aus dem übersinnlichen Sein abgeleitet, das wir früher erschauten. Das über-

sinnliche Sein ist das Erste, die subjektiven Gedankenprozesse sind daraus ab-

geleitete!

Daß im „Gastmahl“, „Phaidon“, „Staat“ und „Phaidros“ das Sein der / Ideen

überall voransteht, daß die Schau der Ideen im vorirdischen Leben die Begründung

für die Wahrheit des Begriffes ist, wird man schwerlich bestreiten können. Im

„Phaidon“ wird die reine Schau der Idee erst wieder nach dem Tode verheißen. Daß

ferner auch die spätere Prädikationslehre Platons, die Frage, wie das Eine zu dem

Vielen komme, das Viele von dem Einen ausgesagt werden könne („Sophistes“),

„Philebos“, „Parmenides“ und andere), rein ontologisch ist, daß sie die Ideen dem

Vorrange nach ontologisch und nicht erkenntnistheoretisch behandelt, kann

gleichfalls nicht geleugnet werden. — Auch im „Philebos“ (16 c) weist Platon (wie

gleichfalls Willmann schon hervorhob

3

) auf den religiösen Hintergrund der

Ideenlehre hin, indem er sagt, als eine „Gabe der Götter“ sei die Lehre über-

liefert, daß das, was wir Wirklichkeit nennen, Bestimmendes

(πέρας,

Idee) und

Unbestimmtes

(άπειρον)

in sich enthalte.

Auch Platons Lehre als Ganzes betrachtet, bestätigt dieses Bild. Platons Lehre

ist zuerst Metaphysik und Ontologie, als solche Ideenlehre, und erst von da aus

ebensowohl Erkenntnislehre, wie Sittenlehre, wie Kunstlehre.

Die Ansicht, daß Platons Ideen substantiierte Begriffe seien, will sich auf

Aristoteles’ Bericht stützen, aber gerade Aristoteles spricht für uns. Denn wenn

A r i s t o t e l e s („Metaphysik“, I, 6, 987a, 32 ff.) sagt: daß die Ideenlehre aus

dem Bestreben hervorgegangen sei, den heraklitischen Gedanken von dem steten

Wechsel des Sinnlichen mit der Gültigkeit der sokratischen Begriffsbestimmun-

gen zu verbinden — so heißt dies doch, daß in der o n t o l o g i s c h e n Proble-

matik, die sich hier auftut, Platon einen Weg sucht, es heißt, daß die Ideenlehre

die o n t o l o g i s c h e Mitte zwischen dem heraklitischen Flusse der Dinge

(einer ontologischen Lehre) und der sokratischen Begriffsfeststellung bilde, nicht

aber daß das Ontologische aus dem Erkenntnistheoretischen g e f o l g e r t wor-

den sei. Es heißt nicht, was man daraus ersehen wollte, nämlich daß Platon aus

dem Erkenntniserfordernis des Definierens, dem Allgemeinbegriffe, die Ideen ab-

1

Platon: Menon, übersetzt von Otto Apelt, 2. Aufl., Leipzig 1922, 81 a f.,

86 b, vgl. 81 a—85 c (= Philosophische Bibliothek, Bd 153).

2

Platon: Menon, 81 c.

3

Otto Willmann: Geschichte des Idealismus, Bd 1, 2. Aufl., Braunschweig

1907, S. 2.