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Das Unmittelbare, die Eingebung, die Intuition erfanden wir in
der „Geisteslehre“ als die Art und Weise, in welcher der Geist er-
kennt, in welcher die Idee in uns erscheint
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, worin ihre Auf-
erweckung in unserem Inneren sich vollzieht. Nur weil wir selbst
Ideen sind, können uns Ideen eingegeben werden. Das Eingegebene
ist zuletzt nur das in uns Wohnende, nunmehr aber Auferweckte.
So erklärt sich, das möge man besonders beachten, die Grundtat-
sache unseres gesamten geistigen Lebens, die S a m m l u n g oder
Konzentration als unerläßliche Vorbedingung aller Eingebung. Die
Sammlung ist das A und O unserer Erkenntnis, jeder geistigen
Leistung, unseres gesamten geistigen Lebens. Was ist aber die Samm-
lung anderes als Selbstvertiefung, ein In-sich-Gehen des Geistes. Der
Mensch muß in sich gehen, um zu erkennen. Je tiefer er in sich hin-
absteigt, um so mehr öffnet er sich gegen die Ideenwelt, um so un-
erschöpflicher findet er das Reich, dem er angehört.
Wie bei der zergliedernden Untersuchung des Geistes, im Zu-
sammenhange der Ideenlehre, so sehen wir auch hier, daß die innere
Gezweiung und Auferweckung, zu der die Sammlung führt, nur
durch die rechte Bereitschaft erreicht wird. Das Leersein von ande-
ren Dingen, die zarte Bereitschaft der Aufnahme ist es, welche uns
die Ideen erweckt. Das Jugendfrische ist darum des Menschen köst-
lichster Gewinn. Nicht alt werden! Die Idee geht nur in das Zarte
ein. Nur der kindliche Mensch ist genial.
In der Eingebung steht eine höhere Ordnung der Dinge dem in-
neren Blicke vor Augen. In der Eingebung wird das / Uberindivi-
duelle der W a h r h e i t , das Objektive, die Gültigkeit der Ideen
offenbar. Die Idee steht nicht als Vereinzeltes vor uns, sie zeigt sich
als Glied eines Reiches, als Glied der Gemeinschaft der Ideen, der
κοινώνία των γενών.
Das Ideenreich ist die innere Wahrheit der äußeren sinnfälligen
Welt, denn es ist der Inbegriff der Gattungen ebenso wie der Ein-
zelwesen. Ist aber Erkenntnis ein L e b e n in der Idee, eine be-
stimmte Form der Aktuierung unserer Zugehörigkeit zu ihr, dann
schafft nicht das subjektive Denken in uns die Wahrheit, sondern
der Urgedanke wird in uns durch das Ganze der Ideenwelt hindurch
wach. Es ist daher nicht im genauen, sondern nur in einem abgelei-
teten Sinne richtig, wenn man die Wahrheit als die „Ubereinstim-
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Siehe oben Geisteslehre, S. 207 ff. und 227 ff.