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an die Wurzeln aller Wirklichkeit heran, besitzen wir ein Bild des
göttlichen Seins, eine Bürgschaft der Unsterblichkeit.
Diese Metaphysik des Denkens ist ein Teil der Geisteslehre oder
Pneumatologie Spanns. In ihr ersetzt Spann die seit Tetens und Kant
übliche Einteilung des Seelisch-Geistigen in „Vorstellung, Gefühl
und Wille“ durch sein Bild des Stufenbaus des menschlichen Be-
wußtseins.
Dieses Bewußtsein ist getragen und geborgen in den höheren
Ganzheiten, zuletzt in Gott. In ihm wurzelt das Innewerden, die
Ahnung der Rückverbundenheit mit den tragenden Gründen alles
Seins, letzthin mit Gott. Diese Rückverbundenheit begründet den
G l a u b e n . Dieser Glaube ist das Urerste, die Voraussetzung alles
Bewußtseins. Er muß aber voll bewußt gemacht, gestaltet und ent-
faltet werden. Spann erhellt diese Einsicht durch die Eintragung
Franz Schuberts in sein Tagebuch am 28. März 1824. Dort schreibt
Schubert: „Mit dem Glauben tritt der Mensch in die Welt, er
kommt vor Verstand und Kenntnissen weit voraus, denn um etwas
zu verstehen, muß ich vorher etwas glauben; er ist die höhere
Basis, auf welcher der schwache Verstand seine ersten Beweispfeiler
aufspannt.“
1
Aus diesem Grund fließen dem inneren Schauen des Menschen
dauernd Bilder, Gedanken, Gefühle, Anregungen, kurz Eingebun-
gen zu. Je größer die Fähigkeit dieses inneren Schauens des Men-
schen ist (man kann sie auch Phantasie nennen), desto reicher ist die
Welt seiner Eingebungen. Dies alles wird dem Menschen gegeben,
gegeben ohne sein Tun.
Das erste freie und bewußte geistige Tun ist die A n n a h m e
dieser Eingebungen. Die Eingebungen werden geschenkt, die An-
nahme ist seine freie schöpferische Tat. Sie verlangt Kraft des Schei-
dens und Entscheiden. „Je größer diese Eingebungen, umso mehr
verlangen sie den ganzen Menschen zu ihrer Ausführung.“
2
Wie
kein zweiter weiß und kennzeichnet Spann die G r ö ß e u n d
H ä r t e der Forderungen, die von den Eingebungen an den schöp-
ferischen Menschen gestellt werden und die Verantwortung, unter
der dieser Mensch steht.
1
Otto Erich Deutsch: Franz Schuberts Briefe und Schriften, München 1919,
S. 51.
2
Siehe oben S. 223.