Table of Contents Table of Contents
Previous Page  4915 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 4915 / 9133 Next Page
Page Background

[21/22]

39

sondern „von oben herab“ ist, wie bei Platon, der Grundsatz die-

ser Lehre. Das Gute ist daher nach Thomas wohl Naturrecht, 1 e x

n a t u r a l i s ; aber nicht im naturalistischen Sinne (Natur wird

nicht als Inbegriff toter Notwendigkeit, mechanischer Ursächlich-

keit, mathematisch-physikalischer Gesetze verstanden); und auch

nicht im individualistischen Sinne. Vielmehr beruht das Gute, das

sittliche Naturgesetz auf Teilnahme, auf p a r t i c i p a t i o

μέθεξις)

an dem ewigen göttlichen Gesetze, der lex a e t e r n a , d a s i s t

g ö t t l i c h e s N a t u r r e c h t . Erst aus der wechselnden und

durch die geschichtlichen Umstände immer wieder veränderten und

unzulänglich gemachten Anwendung des Naturrechtes — dieser

Teilnahme an dem göttlichen Gesetze — ergibt sich bei Thomas

das, was man heute „positives Recht“ nennen würde, die 1 e x

h u m a n a.

Im Lichte Platons gesehen, stellt sich daher auch die Gesellschafts-

philosophie des Thomas von Aquino als eine solche des objektiven

Idealismus dar. Es / ist auch in ihr ein Überindividuelles, ein objek-

tiver Geist, der vor dem Einzelnen steht und an dem der Einzelne

teilnimmt. Es ist dasselbe Herabsteigen der Idee und derselbe Be-

griff der Regierung.

II. Meister Eckehart (1260—1327)

Nach herkömmlicher Auffassung scheint der größte mittelalter-

liche Mystiker, Meister Eckehart, sich in einem Widerspruche zu

befinden, indem er einerseits die „Abgeschiedenheit“, die mystische

Versenkung, andererseits das tätige Leben lehre

1

.

Allein dieser scheinbare Zwiespalt löst sich auf, sobald wir den

(bisher merkwürdigerweise unbeachtet gebliebenen) Grundsatz sei-

ner Naturphilosophie auch auf seine Lebens- und Gesellschaftsauf-

1

Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer (= Deutsche Mystiker

des 14. Jahrhunderts, Bd 2), Leipzig 1857 (seither anastatische Neudrucke); siehe

unter anderem S. 49, Zeile 25 ff., S. 501, S. 385, Zeile 27 ff. — Meister Eckhart:

Die deutschen und lateinischen Werke, herausgegeben im Auftrage der Deutschen

Forschungsgemeinschaft, Stuttgart 1934 ff. — Meister Eckehart: Schriften zur Ge-

sellschaftsphilosophie, mittelhochdeutsch und neuhochdeutsch, herausgegeben von

Ilse Roloff (= Die Herdflamme, Bd 20), Jena 1934. — Vgl. meine Bücher:

Philosophenspiegel, 2. Aufl., Wien 1950; Meister Eckeharts mystische Philosophie,

in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd 3, Wurzach (Württemberg) 1948.