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kann das gar nicht anders sein. Wenn nur die einzelnen Menschen
wirklich sind, ist ja eigentlich, ganz genau genommen, auch der
einzelne Mensch als Ganzes nicht wirklich, sondern auch er besteht
aus einem Wirbel seelischer Atome, den Vorstellungen, die ihre
letzte Quelle wieder in den Sinneseindrücken haben. Die letzte
Wirklichkeit der Gesellschaft / sind daher die einzelnen Sinnesein-
drücke. Da diese aber als solche nicht zur Geltung kommen, sondern
erst in jenen „Bündeln“ und „Ansammlungen“ (bundles or collec-
tions) von Sinneseindrücken und ihren Ableitungen, die man „ein-
zelne Menschen“ nennt: so ist nichts natürlicher, selbstverständ-
licher und unvermeidlicher, als daß der einzelne Mensch die einzige
ursprüngliche Wirklichkeit sei, die man in der Gesellschaft findet
(Individualismus).
1.
Die Staatslehre
Demgemäß sagt zuerst die empiristische Staatslehre
1
: Der Mensch
im Urzustande ist allein, gleichsam, um mit Nietzsche zu reden,
eine „einsam schweifende Bestie“. Daraus ergibt sich, schematisch
genommen, folgender, schon in einem früheren Zusammenhange
erwähnter Gedankengang: Der Zustand des „Krieges aller gegen
alle“ (bellum omnium contra omnes) und die „Furcht aller vor
allen“ bezeichnen jenen unpraktischen Urzustand. Man macht ihm
ein Ende, indem man einen Staatsvertrag, den „U r v e r t r a g“,
abschließt. In diesem verzichtet jeder auf einen Teil seiner Rechte,
um den andern Teil (Eigentum und Sicherheit) um so müheloser
und vollkommener wiederzugewinnen (also aus Eigennutz). Ein
Herrscher wird bestellt, welcher über die Einhaltung des Ver-
trages wacht. Dieser Herrscher ist der Staat.
Daraus folgt:
1
So Hobbes, aber auch schon seine Vorläufer und seine Nachfolger bis zu
Comte, John Stuart Mill und den meisten neueren Lehrbüchern. Die letzteren
verschweigen allerdings meistens die Vertragslehre und den reinen Empirismus
schamhaft, b e h a l t e n i h n a b e r i n a l l e n s y s t e m b e g r ü n d e n d e n
B e g r i f f e n b e i . (Vgl. die früheren Bemerkungen S. 14 ff. und 17 ff.) Daß
auch bei Hobbes und anderen antiindividualistische Vorbehalte und Einschrän-
kungen gemacht werden, ist richtig, ändert aber nichts an den grundsätzlichen
Lehrbegriffen. Vgl.: Leviathan, XIV, in: Hobbes: Grundzüge der Philosophie,
herausgegeben von Max Frischeisen-Köhler, Bd 2, Leipzig 1918, S. 71 ff., 129 ff.
und 243 ff.