Table of Contents Table of Contents
Previous Page  4923 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 4923 / 9133 Next Page
Page Background

[25/26]

47

1.

Der Staat ist eine Fiktion, insoferne er selbst keine ursprüng-

liche Wirklichkeit hat, nichts Wirkliches für sich ist, sondern sich

von den Individuen ableitet.

2.

Der Staat ist etwas rein Ä u ß e r l i c h e s , etwas N ü t z -

l i c h e s ; denn der Einzelne ist auch ohne Staat ein Mensch, ein

geistig-moralisches Individuum, der Staat schafft ihm nur äußeren

Nutzen, äußere Lebensbedingungen durch die Gewährleistung von

Eigentum und Sicherheit.

Man wird zugeben müssen, daß dies auch heute noch die gemeine

Meinung ist und auch noch in den meisten Lehrbüchern gelehrt

wird! Es gibt für die heutige Meinung in der praktischen Politik

wie in der akademischen Wissenschaft kaum etwas Selbstverständ-

licheres, als daß der Staat sich aus den einzelnen Bürgern zusammen-

setze, diese also den Staat ausmachen und machen (was denn auch

in den heutigen Wahlrechten zum Ausdrucke kommt); wie auch,

daß die Aufgabe des Staates nur sein könne, dem Einzelnen äußer-

liche Hilfe zu leisten: dem „l’homme machine“ entspricht „la

société machine“ — der Staat ist eine mechanische Resultante, ein

Mechanismus. Das geistige Leben, so meint man, könne sich nur in

der Brust des Einzelnen abspielen, der Staat bleibt äußerlich.

Die weiteren Lehrbegriffe, wie z. B. jener von der V o l k s -

s o u v e r ä n i t ä t , wonach sich der Staatswille, sonach auch die

Staatsgewalt, vom Willen der Einzelnen (des Volkes) ableite, folgen

daraus, können aber hier nicht entwickelt werden

1

.

/

Es handelt sich, nebenher gesagt, bei dieser naturrechtlichen

Staatsauffassung nicht darum, ob der Staat wirklich aus einem Ur-

vertrage g e s c h i c h t l i c h entstanden sei; sondern darum: ob

man ihn seinem Wesen nach als durch Vertrag der Einzelnen be-

stehend zu denken habe.

2.

Die Rechtslehre

Der Staatslehre entspricht die Rechtslehre. Das Wesen des Rechtes

ist nun dadurch bestimmt: daß die Freiheit des einen durch die

Freiheit des andern so wenig als möglich beschränkt werde. So

bestimmte den Rechtsbegriff sogar noch Kant. Dem Sinne nach aber

gilt diese Begriffsbestimmung bis in die heutige Zeit hinein für

1

Siehe oben S. 17 und 46.