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Alle rein synthetischen Urteile sind nach Kant apriori. Darum
ist auch der G e g e n s t a n d nicht schon dadurch gedacht, daß
man eine Summe von Sinneseindrücken hat. Wer z. B. einen Baum
sieht, der grün, braun, hart, rundlich usw. ist, hat dadurch noch
nicht den „Gegenstand“. Er hat nach Kant zunächst nur eine
„Rhapsodie“, ein Chaos von Eindrücken. Erst wenn die verschie-
denen Eindrücke durch die / Kategorie der S u b s t a n z , das heißt
des „Gegenstandes“, „Dinges“, zur Einheit zusammengefaßt wer-
den, wodurch also eine Synthesis apriori erfolgt, erst dann entsteht
aus dem Chaos ein Kosmos, erst dann der „Gegenstand“, z. B. Baum.
Der Empirismus leugnet den Substanz- oder Dingbegriff und setzt ihm
den „Relationsbegriff“ entgegen. Das „Ding“ ist ihm nur die Summe von „Re-
lationen“ der Eigenschaften, welche wieder zuletzt alle in den Sinneseindrücken
gründen sollen.
Mit dem „Apriori“ ist bei Kant noch ein anderer grundlegender
Begriff, die „Spontaneität“ verbunden. Die „Synthesis“ wird näm-
lich begründet durch jene innere Aktivität des Geistes, die Kant
„Spontaneität“, Fichte „Selbstsetzung“ nannte. Die „Synthesis der
transzendentalen Apperzeption“, wie Kant die Spontaneität des
Bewußtseins auch nannte, ist es, die unserem Bewußtsein über-
haupt erst Einheit verleiht. Daß unser Bewußtsein nicht selbst eine
„Rhapsodie“, sondern eine Einheit ist, in welcher alle die mannig-
faltigen Vorstellungen von einem „Ich“ begleitet werden („Ich“
bin es, der all dieses denkt und tut), ist das Werk der Spontaneität.
Schließlich gehört zum Apriori noch der Begriff des „ D i n g e s a n s i c h “ .
Da das Apriori (in den Kategorien) nur formal ist, bedarf es eines Inhaltes, des
Ansichs der Dinge. Dieses Ansich ist das „ N o u m e n o n “ (sprich: No-úmenon,
das heißt Geistesding), die dem Verstand gegebenen Dinge sind nur „ P h a i -
n o m e n o n“, Erscheinung.
2.
Beurteilung des Kantischen Apriori
Den Begriff des Apriori darf man nicht, wie üblich, e m p i r i -
s t i s c h ausdeuten, nämlich als „Ausstattung“ des Verstandes mit
„Formen“, mittels welcher er die Sinneseindrücke „bearbeitet“.
Diese Formen wären dann nur empirische (vielleicht nur physio-
logische) Eigenschaften des Verstandes, die sich z. B. als automati-
sche Reflexbildungen erweisen könnten, mit Hume zu sprechen, als
Erzeugnisse der Gewohnheit — dann wäre der ganze Kritizismus