Table of Contents Table of Contents
Previous Page  4933 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 4933 / 9133 Next Page
Page Background

[32/33]

57

Das Apriori der praktischen Vernunft gibt nach Kant dem Men-

schen das Gesetz des Handelns, das allgemeine S i t t e n g e s e t z ,

den sogenannten k a t e g o r i s c h e n I m p e r a t i v . Das Sit-

tengesetz ist notwendig ein f o r m a l e s — bei der Kantischen

Beschränkung des Apriori auf die Form. Von den vielen Formu-

lierungen des kategorischen Imperativs, die Kant bringt, ist fol-

gende am meisten beachtet worden: „Handle so, daß die Maxime

deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Ge-

setzgebung gelten könne

1

.“ Der „Vernunftgrund“, die „Geltung“

oder das „Sollen“ ist das sittliche Apriori, und es tritt als P f l i c h t

in Gegensatz zum Kausalen des empirischen Begehrens, der empiri-

schen Motivsmechanik des Willens, zur N e i g u n g . (Wegen die-

ses Gegensatzes gibt es ja eine „bittere Wahrheit“, eine „schwere

Pflicht“.) Mit heute üblichen Namen kann man das auch den Ge-

gensatz der g e n e t i s c h e n , k a u s a l e n Ansicht des psycholo-

gischen Geschehens zur w e r t b e s t i m m t e n o d e r i d e a l e n

o d e r ( a p r i o r i s c h ) g e s o l l t e n Ansicht nennen. Durch

die letztere allein wird das Handeln zum sittlichen Handeln; in

der ersteren bleibt es naturhaft. Den Grundgedanken der Kanti-

schen Sittenlehre sprechen auch die berühmten Worte der „Kritik

der praktischen Vernunft“ eindrucksvoll aus: „Zwei Dinge er-

füllen das / Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunde-

rung ... j e . . . anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt:

der g e s t i r n t e H i m m e l ü b e r m i r u n d d a s m o r a l i -

s c h e G e s e t z i n m i r . . . Der erstere Anblick einer zahl-

losen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als

eines tierischen Geschöpfes, das die Materie, daraus es ward, dem

Planeten ... wieder zurückgeben muß ... Der zweite erhebt da-

gegen meinen Wert, als einer Intelligenz, unendlich durch meine

Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der

Tierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben

offenbart.. .

2

1

Vgl. Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft (= Kants Werke, her-

ausgegeben von der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd 5), Berlin

1908, § 7, S. 30.

2

Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, S. 161 f.