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ten. Darum der Begriff eines „Dinges an sich“ bei Kant, der über
das subjektive Apriori allerdings hinausgeht. Aber der Begriff des
Dinges an sich ist widerspruchsvoll, denn es muß uns „affizieren“,
wie Kant sagt; und im „Affizieren“ liegt schon ein kausaler Vor-
gang, schon Kausalität: das Ding wäre nicht mehr „an sich“, sondern
schon kategorial bestimmt. Würde aber der „Ding-an-sich“-Be-
griff verlassen, wie die Neukantianer der Marburgerschule wollen,
dann wäre die Folge der S o l i p s i s m u s . Ferner führt das sub-
jektive Apriori zu dem unauflöslichen Gegensatze von „Erschei-
nung“ und „Ding an sich“, zu dem Fehler, den Kant mit Fiume
machte, als ob dem Geiste zunächst das „Material“ der Erfahrung
vorläge, das dann nur eine Rhapsodie, ein Chaos sein könnte und
daher — so folgt notwendig — erst n a c h t r ä g l i c h durch das
Vorempirische geformt werden müßte.
Diese Schwierigkeiten kann, wie gerade die Bemühungen der
letzten Jahrzehnte zeigten, keine „reine Erkenntnistheorie“ über-
winden. Nur ein objektives Apriori, ein ontologisches Apriori
kann ihnen begegnen. Die alten idealistischen Systeme hatten dieses
ontologische Apriori, in der Art, wie der platonische Ideen- und der
aristotelische Formbegriff es aufweist, ihrer Erkenntnislehre zu-
grunde gelegt. Der nachkantische Idealismus mußte gleichfalls diesen
Weg gehen. Fichte vollzog die erste Wendung dahin. Die „Selbst-
setzung“ des Ich war ihm schon jenes „An sich“; sie war ihm jener
noumenale Punkt, von dem aus man in die objektive Welt, zum
„Ding an sich“, gelangen konnte. Das „absolute Ich“, das schließlich
hinter der Selbstsetzung (Spontaneität) des empirischen Ich stehen
muß, weitet das subjektive Apriori zum objektiven aus und schließ-
lich — bei Schelling und Hegel — die Erkenntnistheorie zur Onto-
logie.
B. Die B e g r ü n d u n g d e r S i t t e n l e h r e
d u r c h K a n t
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1. Das sittliche Apriori
Das Vorempirische oder Apriori auf dem Grunde der Spontanei-
tät des Bewußtseins — der „Synthesis der transcendentalen Apper-
zeption“ — ist die Grundlage des Kantischen Erkenntnisbegriffes,