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sich bald als ein bloß empirisches Ich, dessen Setzungen selber auf
ein Höheres hinweisen, auf das „ a b s o l u t e I c h“. Indem das
absolute Ich über dem empirischen steht und es bestimmt, in
irgendeinem Sinne auch befaßt, ist der Durchbruchspunkt von der
Subjektivität zur Objektivität erreicht.
Fichte hielt seinen Gemeinschaftsbegriff — „Sollen Menschen
überhaupt sein, so müssen mehrere sein“ — allerdings niemals
fest. Sein Durchbruch zur Objektivität wurde niemals einheitlich
und vollbewußt vollzogen, und daher kommt es, daß er in seiner
G e s e l l s c h a f t s l e h r e immer wieder in die individualisti-
sche Rechts- und Staatslehre der Aufklärung, die er im Grunde so
heftig bekämpfte, zurückfiel. Der Staat ist ihm, wie der Aufklärung,
zuerst nur eine Rechtsanstalt, später, in den „Reden an die deutsche
Nation“ (1808), allerdings schon Kulturstaat, E r z i e h u n g s a n -
s t a l t im Platonischen Sinne. Aber auch da noch sagt Fichte, daß
es die höchste Aufgabe des Staates sei, sich überflüssig zu machen
1
:
Er faßt damit also den Staat doch wieder ganz individualistisch,
als eine Äußerlichkeit auf und steuert dem aufklärerischen Ideale
der Erziehung aller Individuen zur Vollkommenheit und reinen,
individuellen Selbstbestimmung zu. Der vorangegangene „Geschlos-
sene Handelsstaat“ (1800) zeigt dagegen keine individualistischen
Züge. — Ähnlich erreicht Fichte in der Wissenschaftslehre und On-
tologie einen vollkommenen Objektivismus nicht. Denn auch ein
anderer Ansatz, den er in seiner Ideenlehre mit dem Begriffe der
„ S y n t h e s i s d e r G e i s t e r w e l t“, das heißt der geistigen
Welt der Menschen als Einheit genommen, versuchte, blieb leider
unfertig
2
.
2.
Hier setzt S c h e l l i n g (1775—1854) mit seiner „Natur-
philosophie“ ein. Für Fichte ist die Natur nur eine Schranke des
Ich. Denn der „Gegenstand“ erschöpft sich ihm darin, daß er das
Ich „bestimmt“. Schelling erklärt, daß die Natur nicht ein Leeres,
Ungöttliches sei. Auch die Natur ist ein Ich-Artiges, Geistartiges.
Während Kant und Fichte fragten: „Wie erkenne ich den Gegen-
stand, die Natur?“, kehrte Schelling die Frage um: „Wie kommt der
1
Vgl. Fichtes Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, herausgegeben von
Hans Riehl, Jena 1928, S. 88 und öfter; dazu Walter Becher: Platon und Fichte,
Jena 1937.
2
Fichtes Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, S. 60 und S. 63 f. — Max
Wundt: Johann Gottlieb Fichte, Sein Leben und seine Lehre, Stuttgart 1927.