66
[39]
leisten könnte; es muß sich vor ihm auftun und seinen Reichtum
und seine Tiefen ihm vor Augen legen und zum Genusse bringen
1
.“
„... wer die Welt vernünftig ansieht, den sieht sie auch vernünftig
an
2
.“ Das sind Gedanken Schellingischer Prägung, die aber Hegel
strenger durchführte! Man erkennt hier auch die Wiedererzeugung
platonischer Gedanken, die allerdings nicht in Nachahmung Platons,
sondern aus ganz anderen Voraussetzungen, wie sie die Entwicklung
der neueren Philosophie und der Kampf gegen die Aufklärung
schuf, erfolgte. „Das Wesen erscheint“ ist ein ebensolcher Satz
der Hegelischen Logik, welcher mit der Platonischen Ideenlehre und
der Aristotelischen Formenlehre innerlichst zusammenstimmt. Das
Sein ist Hegeln kein Totes und auch keine nichtige Erscheinungs-
welt; vielmehr ein Wesenhaftes ist es, das in ihm erscheint.
Hegels Standpunkt Kanten gegenüber bedeutet (ebenso wie jener
Schellings) nicht die Ablehnung des Apriori überhaupt, sondern
nur die Ablehnung des subjektiven Apriori. Das subjektive Apriori
wird nun zu einem objektiven erweitert; der b l o ß e r k e n n t -
n i s t h e o r e t i s c h e
u n d
s u b j e k t i v e
I d e a l i s m u s
w i r d z u r O n t o l o g i e u n d z u m o b j e k t i v e n I d e a -
l i s m u s . In der Erkenntnistheorie kommt man damit, freilich
ohne daß es bei Schelling und Hegel begriffsmäßig durchgeführt
wird, zu dem uralten, antiken Satze zurück: „Gleiches wird durch
Gleiches erkannt“. An der Spitze von Hegels System steht die große
Gleichung, die jeden echten Idealismus bezeichnet: Logik = Onto-
logie = Theologie.
A.
Das d i a l e k t i s c h e V e r f a h r e n
1.
Darstellung
Die Vernunft ist der sich realisierende Endzweck. Die inneren
Schritte, die sie auf diesem Wege macht, gibt uns in einem Schema
die „dialektische Methode“ an, die Hegel nicht erfand, sondern
schon Fichte vorgebildet hatte.
1
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Sämtliche Werke, Jubiläumsausgabe, her-
ausgegeben von Hermann Glockner, Bd 8, System der Philosophie, Teil 1, Logik,
Stuttgart 1929, S. 36.
2
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte, herausgegeben
von Friedrich Brunstäd (= Reclams Universalbibliothek, Bd 4881—4885), Leipzig
1907, S. 44.