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[6/7]

G e i s t e s g e s c h i c h t l i c h ist die Zeit, in der der Merkantilismus

entstand, durch den erwachenden Individualismus der Renaissance und

des Humanismus bezeichnet

1

.

W i r t s c h a f t s g e s c h i c h t l i c h zeigt sich, daß die Kräfte, welche

zur Durchbrechung des mittelalterlichen Wirtschaftgefüges führten, nicht

in der Wirtschaft selbst lagen, sondern in politischen Vorgängen: die staat-

liche Zentralisation, die im Westen Europas zur Bildung größerer Natio-

nalstaaten (Frankreich, Spanien, Portugal, England), in Deutschland später

zum Territorialfürstentum (voran Österreich und Brandenburg-Preußen)

führte, hatte die Umbildung der naturalwirtschaftlichen / Staatswirtschaft

zur Folge. Aus dem bündisch-naturalwirtschaftlichen Lehenstaat wurde

ein zentralistisch-geldwirtschaftlicher Staat; und dieser drängte wieder

auf die Umbildung der mittelalterlichen Stadtwirtschaft zu großen, ein-

heitlichen Wirtschaftsgebieten hin. Mit diesen Umbildungen werden nun

Geld und Handel in anderer Weise wie früher eine Grundlage der

p o l i t i s c h e n M a c h t . Der Satz: Pecunia nervus rei publicae, Geld

ist der Nerv des Staates (Bodin, Becher und andere) war nun in vieler

Hinsicht neu. Indem nämlich der Staat aus einem lehensmäßigen zu einem

zentralistischen wurde, trat ein Söldnerheer an die Stelle der ritterlichen

Lehensmiliz; indem die Verwaltung zentralisiert wurde, trat ein bezahl-

tes Berufsbeamtentum an die Stelle des Lehenswesens und der Selbst-

verwaltung. Dadurch wurden Heer und Verwaltung, Steuersystem und

Staatskredit mehr und mehr auf geldwirtschaftliche statt auf natural-

wirtschaftliche Grundlage gestellt. Die geldwirtschaftliche Kraft eines

Landes erhielt eine früher ungeahnte politische Bedeutung.

Diese Entwicklung wurde von jenen wirtschaftlichen. Vorgängen be-

gleitet, welche die Entdeckung Amerikas (1492) und des Seeweges nach

Indien (1498) hervorriefen. Es entstanden Kolonien und durch sie n e u e

W e l t h a n d e l s w e g e , welche jetzt die westlichen Länder stärkten —

die Handelsländer (Spanien, Portugal, Holland, England) —, umgekehrt

Deutschland schwächten. So e r s c h i e n d e r H a n d e l u n d d a s

h i n t e r i h m s t e h e n d e G e l d d e u t l i c h a l s e i n e Q u e l l e

d e s R e i c h t u m s u n d z u g l e i c h a l s e i n e G r u n d l a g e d e r

p o l i t i s c h e n M a c h t .

Zu diesen allgemeinen Verschiebungen kam ein besonderes Ereignis

hinzu. Bald nach der Entdeckung der neuen Länder hatten sich von

Spanien aus Ströme von Gold und Silber über Europa ergossen, eine un-

geheure Teuerung, die sogenannte „ P r e i s r e v o l u t i o n “ , war damit

verbunden. Allerdings begann die Teuerung schon etwa 1510, während

die starke Vermehrung der Edelmetallerzeugung erst etwa 1520 einsetzte,

hatte somit in der wirtschaftlichen Entwicklung jener Zeit eine tiefer

liegende Ursache als die plötzliche übermäßige Goldfülle; aber diese Gold-

fülle war damals ein wichtiges Mittel, die Ausbreitung der Kapitalwirt-

schaft zu begünstigen.

Indem alle diese Umstände das Geld statt des bloß naturalwirt-

schaftlichen Reichtums in den Vordergrund rückten, bildete sich

im Gegensatz zum mittelalterlichen Streben nach Beschränkung der

1

Siehe unten S. 32 ff.