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Das wirtschaftliche Denken des Mittelalters ist durch die Lehren des
hl. Thomas von Aquino (
1274), der von Aristoteles ausging, gekenn-
zeichnet
1
. Die Wirtschaft wird ausschließlich vom Standpunkte der /
Gerechtigkeit aufgefaßt. Es handelt sich um die gerechte Organisation
der Wirtschaft und um den g e r e c h t e n P r e i s (iustum pretium). Tho-
mas unterscheidet zweierlei Gerechtigkeit, die verteilende und die ent-
geltende oder Tauschgerechtigkeit
2
. Das Wesen der Gerechtigkeit des
Preises liegt in der Gleichheit des Entgeltes beim Tausch. — Für das
Einkommen ist nach Thomas nicht Angebot und Nachfrage entscheidend,
wie für die spätere naturwissenschaftliche Volkswirtschaftslehre, sondern
die durchgängige Ausgerichtetheit aller Wirtschafter aufeinander, die
objektive Zweckmäßigkeit. „Wo immer sich ein Gut befindet, besteht sein
Wesen in dem gebührenden Maß.“
3
So ergibt sich der Begriff des s t a n -
d e s g e m ä ß e n E i n k o m m e n s . — D e r G e l d z i n s wird dem
Wucher gleichgesetzt („pecunia pecuniam non parit“). Geld ist ein Tausch-
mittel, das beim Tausche verbraucht wird. Sein Gebrauch ist sein Auf-
brauch
4
. Daher kann für den Gebrauch geliehenen Geldes nicht wieder
Geld (der Zins), sondern nur die einfache Zurückerstattung gefordert wer-
den. Jedoch sind bei Thomas naturalwirtschaftliche Zinsformen, nämlich
Pacht, Miete und selbst Warenkredit (bei denen ja das Gut nicht nur
zurückerstattet, sondern auch noch für die Benützung bezahlt wird) er-
laubt
5
. Das beweist, daß das Zinsverbot des Mittelalters im letzten Grunde
nicht theoretischer, sondern wirtschaftspolitischer Natur ist: es s o l l d a s
A u f k o m m e n k a p i t a l i s t i s c h e r W i r t s c h a f t s f o r m e n v e r -
h i n d e r n . Bedenkt man das, dann wird man das Streben, den Zins in
naturalwirtschaftlichen Formen (Pacht, Miete) festzuhalten, ebenso ver-
ständlich wie die Rechtstitel für das Zinsnehmen, die bei Thomas und im
späteren Mittelalter allgemein gelten: lucrum cessans (entgehender Ge-
winn), damnum emergens (erwachsener Schaden des Anleihegebenden,
womit das Geld eigentlich als mittelbares Produktivgut anerkannt wird),
die Gefahr (Risiko), endlich der Verzug bei der Rückgabe
6
.
Später wirkte der Franzose Oresmius (
1382), den Roscher den größten
scholastischen Volkswirt nannte. Er vertrat ähnliche aristotelische Auf-
fassungen wie Thomas, entwickelte aber in den Fragen des Münzwesens
und der im Mittelalter so häufigen Münzveränderungen selbständige
Ansichten.
Mit jenen Lehren hatte das Mittelalter bereits einen bewun-
dernswert hohen Stand erreicht, doch waren ihre Begriffe auf die
1
Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften zur Staats- und Wirt-
schaftslehre, Neue Übertragung von Friedrich Schreyvogl (= Die Herd-
flamme, Bd 3), Jena 1923.
2
Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften, Jena 1923, S. 211. Eben-
so schon Aristoteles im Fünften Buche der Nikomachischen Ethik.
3
Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften, Jena 1923, S. 143.
4
Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften, Jena 1923, S. 251.
5
Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften, Jena 1923, S. 255 bis
259, besonders S. 257 und 418 ff.; Summa theologica, II./II., quaestio 78.
6
Über Zinstheorien siehe S. 47 und 211 ff.