102
[63/64]
hältnis (dem Verhältnisse zu dem in der Eingebung Geschauten)
vorsteht.
Zugleich sprachen wir damit schon eine wichtige Erkenntnis
aus: die Selbstentgegensetzung, das Wissen, enthält eine Rück-
beziehung des Erkennenden auf sich selbst — er ist Ich oder Per-
sönlichkeit.
Die „Selbstsetzung“ im Sinne Fichtes, darin sich der Mensch von seiner
Aktion getrennt findet
1
, geht nicht rein individuell voran. Denn die „Selbst-
setzung“, welche zur „Annahme“ der Eingebung führt, kann nicht aus der Taufe
gehoben werden, wenn die Gezweiung fehlt. Die Selbstsetzung ist nicht der
einsame Anfang, sie ist auch nicht das Konstruktive des Geistes. Denn nicht
der Geist macht den inhaltlichen (konstruktiven) Anfang, sondern die Eingebung.
Wenn das Kind den ersten Schritt in die Welt tut, hat es schon Eingebung, und
diese Eingebungen hat der Mensch bis zum Grabe. Doch zum Ergreifen der
Eingebung bedarf es der Gezweiung. An der Spitze unseres Geistes steht darum
das Ich : Ich-Verhältnis, nicht das Ich : Gegenstand-Verhältnis.
Die F o l g e der Wirksamkeit des ersteren Verhältnisses erst ist das Subjekt :
Objekt-Verhältnis, das Denken des G e g e n s t a n d e s .
Damit ist der Rationalismus zweifach überwunden. Denn:
1.
am Beginne steht das andere Ich, nicht der Gegenstand (das Ich: Ich-Ver-
hältnis, nicht das Ich : Gegenstand-Verhältnis); und
2.
vor dem „Gegenstand“ ist, obzwar nur in selbstsetzender Eigentat zu er-
greifen, doch nicht „meine Tat“, sondern — Eingebung, die nicht unmittelbar
in meiner Gewalt ist. Sie ist mir geschenkt: dem Menschen die Eingebung
menschlicher Art, dem Hunde die hündischer Art, der Pflanze die pflanzlicher
Art.
Es ist ein Irrationales, es ist ein Unauflösliches, ein dunkler, durch Analysis
nie ganz aufzuhellender Grund: die Gezweiung und die Eingebung, auf denen
sich das „Wissen“ erhebt. Es gibt kein Wissen, das heißt Unterscheidung von
Ich : Gegenstand, als auf dem Grunde der Eingebung und der Gezweiung — dem
unauflöslichen Grunde. B e i d e s i n d i r r a t i o n a l u n d g e s c h i c h t -
l i c h . (Mozart hört nur einmal — geschichtlich — die Zauberglöckchen Papa-
genos.)
4
4. Das eigene Schaffen
Daß der Geist das Eingegebene, Geschaute annehme, ergreife,
geschieht in der Weise des W i s s e n s und in der Weise der
K u n s t . Das Wissen besteht darin, daß ich das Ich : Gegenstand-
Verhältnis erfasse und weiterver- / folge — durch weitere Unter-
scheidung des Gegenstandes. Hier tritt die geniale Fichtesche Ana-
lysis voll in ihre Rechte. Das Geschaute u n t e r s c h e i d e t sich
1
Siehe oben S. 6o.