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jeden. Selbst der kleine Handwerkerlehrling muß sich von Zerstreutheit, Müdig-
keit, Arbeitsscheu und ähnlichem frei machen, damit die Liebe zur Sache ein-
trete. Er muß erfüllt werden von dem, was er vor sich hat. Sobald das Störende
beseitigt wird, kommt die Eingebung von selbst. Das gilt für die höchsten wie
für die tiefsten Dinge. Das Leersein vom andern ist die Bedingung für das Er-
fülltsein vom einen. Sich leer machen, ist die Via purgativa. Sich erfüllen, ist die
Via illuminativa oder meditativa; worauf immer mehr der höchste Zustand, die
„Einigung“ erfolgt, die Via unitiva beschritten wird. — Dazu gehört noch
manche Tugend: Bescheidenheit, Schlichtheit, Demut, die man heute ganz falsch
versteht. Man soll sich nicht selbst verachten, nicht etwa kein Ichgefühl haben
usw. Das wäre kein wahrer, es wäre nur ein verwässerter Demutsbegriff. Man
soll demütig sein vor dem, was uns in der Eingebung kommt. Davor kann man
nicht klein genug sein. Der Handwerker wird klein sein vor der kleinen Ein-
gebung, seiner Handwerkskunst; der große Mensch klein und demütig vor der
großen Eingebung stehen. Man muß sich von kleinlicher Undemut, von klein-
licher Unbescheidenheit frei machen...! Daher auch nicht etwa die Folgerung
gezogen werden darf: Demut sei Kraftlosigkeit oder gar Fatalismus. Das Gegen-
teil ist wahr: Demut verlangt Kraft. Ohne Demut keine wahre Größe. Wer in
der Welt etwas Großes erreichen will, muß das Kleine, das Hinderliche hinter
sich lassen. Das darf aber auch nicht Weltfeindlichkeit sein. Wer über die Welt
hinaus will, muß die Welt hinter sich lassen, überragen.
Man vergleiche: was in meinen „Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre“,
Anhang, „Vom inneren Wege der geistigen Arbeit“, gesagt wurde.
Aus allem folgt, daß mit der ärmlichen Unterscheidung der her-
kömmlichen Seelenlehre (Pneumatologie) von „Vorstellung, Gefühl
und Wille“ nicht auszukommen sei. D e r m e n s c h l i c h e G e i s t
i s t v i e l r e i c h e r a n u r s p r ü n g l i c h e n I n h a l t e n ;
e r i s t S c h a f f e n a u s G e s c h a f f e n w e r d e n u n d g e -
h ö r t d a m i t e i n e r h ö h e r e n S e i n s o r d n u n g a l s
d e r N a t u r a n .
V. Übergang von der subjektiven Geisteslehre zur Ideenlehre
Die subjektive Geisteslehre ist in sich nicht geschlossen, sondern
weist in Glaube und Eingebung auf ein Über-Subjektives, auf die
Ideen hin. Denn der Geist beginnt mit Glaube (Ahnung) und Ein-
gebung. Eingebung ist die Vorbedingung geistigen Lebens. / Dem
Steine wird nichts eingegeben, dem Idioten wenig, dem Genie viel.
Der Mensch muß aber dann, so sahen wir, das geistige Leben auf
den verschiedenen Stufen weiterführen, auf das Geschaffenwerden
das eigene Schaffen folgen lassen.
Die Eingebung kann nicht von irgendwoher geschneit kommen.