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und ihre Gliederung ist an die Einsicht und die Beziehungen ihrer
Wahrheiten zum Ganzen der Wirklichkeit gebunden.
Die e l e m e n t a r e G r u p p e v o n G e i s t e s w i s s e n -
s c h a f t e n bilden die Wissenschaften vom Einzelmenschen, dem
Elemente der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit. Anthro-
pologie und Psychologie, welch letztere Dilthey ihren verschiedenen
Aufgaben nach ganz eigenartig bestimmt
1
. Sie bildet zwar die
Grundlage des weiteren Aufbaues der Wissenschaften der geschicht-
lich-gesellschaftlichen Wirklichkeit, „aber ihre Wahrheiten enthalten
nur einen aus dieser Wirklichkeit ausgelösten Teilinhalt und haben
daher die Beziehung auf diese zur Voraussetzung. Demnach kann
nur mittels einer erkenntnistheoretischen Grundlegung die Bezie-
hung der psychologischen Wissenschaft zu den anderen Wissenschaf-
ten des Gei s te s.. . aufgeklärt werden“
2
.
Die andere Gruppe von Geisteswissenschaften hat nicht die Ele-
mente, sondern T e i l i n h a l t e des Ganzen, der Gesellschaft, zu
ihrem Gegenstande.
Sie betrifft:
1. Die Erforschung der natürlichen Gliederung der Menschheit in
„Volksganzen“. Dies ergibt die Wissenschaften der Geschichte, Sta-
tistik und Ethnologie. — Die Erscheinungen der gesellschaftlichen
Wirklichkeit zerfallen nach ihrem inneren Aufbau in „Systeme der
Kultur“ und in die äußere Organisation der Gesellschaft, wonach
1
Dilthey stellt der e r k l ä r e n d e n eine b e s c h r e i b e n d e Psychologie
gegenüber. Erstere hat die Erscheinungen des Seelenlebens aus Elementen kausal
(theoretisch) zu erklären — sie wird von Dilthey als zu sehr hypothetisch abge-
lehnt. Verläßlich ist nur die b e s c h r e i b e n d e Psychologie, welche in gene-
relle und vergleichende zerfällt und das Seelenleben so zu betrachten hat, wie es
in einem einzigen Zusammenhang verbunden ist, der nicht hinzugebracht oder
erschlossen, sondern unmittelbar e r l e b t ist. Vgl. Wilhelm Dilthey: Ideen über
eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, Sitzungsberichte der Berliner
Akademie der Wissenschaften, Leipzig 1894; d a g e g e n Hermann Ebbinghaus:
Über erklärende und beschreibende Psychologie, in: Zeitschrift für Psychologie
und Physiologie der Sinnesorgane, Bd 6, Hamburg 1895, wo Diltheys Ablehnung
der erklärenden Psychologie bekämpft wird und H u g o M ü n s t e r b e r g :
Grundzüge der Psychologie, Bd 1, Leipzig 1900, S. 28 ff. Ebenso P a u l B a r t h :
Philosophie der Geschichte als Soziologie, Leipzig 1897, S. 372. — Hingegen hat
— meines Erachtens mit Recht — P a u l N a t o r p in ähnlicher Weise eine
„rekonstruktive“ Psychologie gefordert.
2
Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,
S. 41.
4 Wirtschaft und Gesellschaft