50
die Einzelwissenschaften in zwei entsprechende Klassen auseinander-
treten
1
. Zunächst:
2. Wissenschaften von den Systemen der Kultur. Die Kultur-
systeme sind gesellschaftliche Gebilde, welche auf einem (als Bestand-
teil der Menschennatur) andauernden Z w e c k gegründet sind.
Dieser Zweck setzt psychische Akte in den Individuen in Beziehung
zueinander und verknüpft sie zu einem über das einzelne Indivi-
duum hinausgehenden Z w e c k z u s a m m e n h a n g . Die Sy-
steme der Kultur sind sonach als Zweckzusammenhänge zu charak-
terisieren. (So ist die Wirtschaft Zweckzusammenhang der Befriedi-
gung materieller Bedürfnisse.) Die als Teilinhalte der Wirklichkeit
aus relativ selbständigen, sowohl untereinander wie mit der äußeren
Organisation, in mannigfacher Beziehung befindlichen Systeme der
Kultur sind: Wirtschaft, Sittlichkeit, Sprache, Religion, Kunst und
Wissenschaft. (Das Recht nimmt eine Zwischenstellung ein.)
3. Wissenschaften von der äußeren Organisation der Gesellschaft.
Die äußere Organisation der Gesellschaft entsteht, „wenn dauernde
Ursachen Willen zu einer Verbindung im Ganzen vereinen“
2
; ihre
Formen sind: Staat, Kirche, Familie und Verbände überhaupt. Die
Wissenschaften der äußeren Organisation der Gesellschaft sind die
Staatswissenschaften, welchen die Rechtswissenschaften (in eigen-
tümlicher Zwitterstellung) sowie die allerdings recht problematische
Stein-Mohlsche Gesellschaftswissenschaft zur Seite steht.
Auf Grund dieser Unterscheidung entwickelt Dilthey das Problem
des prinzipiellen Verhältnisses der einzelnen gesellschaftlichen Teil-
inhalte in folgender Weise: „Die Wissenschaft einer jeden dieser bei-
den Klassen (2 und 3) können ... nur in der beständigen Relation
ihrer Wahrheiten auf die in der anderen gefundenen entwickelt wer-
den. Und innerhalb einer jeden dieser Klassen besteht dasselbe Ver-
hältnis, oder wie könnten die Wahrheiten der Wissenschaft der
Ästhetik ohne die Beziehung zu denen der Moral, wie zu denen der
Religion, entwickelt werden, da doch der Ursprung der Kunst, die
1
Die trefflichen Analysen, worauf die nachfolgend mitgeteilten Ergebnisse
fußen, können in dem engen Rahmen dieser Arbeit nur ganz andeutungsweise
wiedergegeben werden.
2
Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,
S. 54.