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Die historische Schule — im weiteren Sinne des Wortes — hat

zwar die Emanzipation der Einzelwissenschaften von der Metaphy-

sik vollbracht, aber sie hat bis heute die inneren Schranken nicht

durchbrochen, welche ihre theoretische Ausbildung zu einem selb-

ständigen Zusammenhange der Geisteswissenschaften, wie ihren Ein-

fluß auf das Leben hemmen mußte. Jene allgemeinsten und letzten

Probleme der Geisteswissenschaften hat sie nicht gelöst. „Ihrem Stu-

dium und ihrer Verwertung der geschichtlichen Erscheinungen

fehlte der Zusammenhang mit der Analysis der Tatsachen des Be-

wußtseins, ... eine philosophische Grundlegung.“

1

Es entsteht die Aufgabe, das Prinzip der historischen Schule philo-

sophisch zu begründen und so den Streit zwischen dieser und den

abstrakten Theorien zu schlichten. „Welcher ist der Zusammenhang

von Sätzen“, so fragt Dilthey, „der gleicherweise dem Urteil des

Geschichtsschreibers, den Schlüssen des Nationalökonomen, den Be-

griffen des Juristen zugrunde liegt und deren Sicherheit zu bestim-

men ermöglicht? Reicht derselbe in die Metaphysik zurück? ... wo

ist der feste Rückhalt für einen Zusammenhang der Sätze, der den

Einzelwissenschaften Verknüpfung und Gewißheit gibt?“

2

Dilthey gibt, indem er selbstverständlich jede Art metaphysischer

Begründung verwirft, die Antwort: im Bewußtsein, in unserer in-

neren Erfahrung, da ist der feste Rückhalt für jenen Zusammenhang

von Sätzen, denn „alle Erfahrung hat ihren ursprünglichen Zusam-

menhang und ihre hierdurch bestimmte Geltung in den Bedingun-

gen unseres Bewußtseins...“

3

Hierdurch wird die geforderte Grundlegung der Geisteswissen-

schaften zu einer erkenntnistheoretischen Grundlegung.

Von diesem erkenntnistheoretischen Standpunkte aus ist stets

der g a n z e u n g e t e i l t e M e n s c h a l s f ü h l e n d e s ,

v o r s t e 1 1 e n d e s , w o l l e n d e s , n i c h t b l o ß

a l s

e r -

k e n n e n d e s W e s e n d e r E r k l ä r u n g d e r E r k e n n t -

n i s u n d i h r e r B e g r i f f e z u g r u n d e z u l e g e n . Die-

1

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,

S. XV.

2

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,

S. XVI.

3

Wilhelm Dilthey: Einführung in die Geisteswissenschaft, Bd 1, Leipzig 1883,

S. XVI.