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ist selbst schon Glaube und hat einen Funken metaphysisdien
Wesens unmittelbar in sich. Streng und schön zugleich drückte dies
Friedrich Schlegel aus in den Worten:
Wissen ist des Glaubens Stern,
Andacht alles Wissens Kern.
Glaube ist am Grunde des Wissens, Wissen leitet den Glauben. /
Aus dem Wesen des Metaphysischen wie aus dem der Wissenschaft
folgt nach dem Gesagten, daß die Religiosität das Wissen be-
g r ü n d e t , daß sie aber selbst durch die Stufe der Wissenschaft
hindurch muß, um als Religion (als durch Wissen gestaltete Religio-
sität) zur Wirklichkeit zu gelangen. Kleiden wir dieses „durch Wis-
senschaft zur Wirklichkeit gelangen“, den „Gestaltwandel“, in die
Formel: Religion muß sich in Wissenschaft „verwandeln“, so ergibt
sich folgender Satz zur Bestimmung des begrifflichen Vorrangver-
hältnisses
1
:
(1)
R e l i g i o n i s t v o r W i s s e n s c h a f t ; aber Religion
muß sich in Wissenschaft verwandeln, um zu konkreter Wirklich-
keit zu gelangen. — Dieses „Sichverwandeln“ in Wissenschaft ist
zugleich eine B e g r ü n d u n g derselben. Die Stufen des Glaubens
wie die des Wissens sind bei alledem arteigen und unvermischbar.
In der subjektiven Geisteslehre wurde auseinandergesetzt, wie das Wissen
des Gegenstandes nur durch Gewußtwerden des Wissenden von einem andern
Menschen möglich sei, das W i s s e n d a h e r u n t e r d e r B e d i n g u n g
d e r G e z w e i u n g , das heißt, das Gegenstandsbewußtsein unter der Bedin-
gung des G e z w e i u n g s b e w u ß t s e i n s stehe.
Auch die subjektive Geisteslehre zeigt also, daß Wissen nur als W i s s e n s -
g e m e i n s c h a f t möglich sei, und fordert damit: die W i s s e n s c h a f t
a l s e i n e T e i l o r d n u n g d e s G e s a m t g e i s t e s z u v e r s t e h e n .
In diesem Sinne ist Hegel zu verstehen, wenn er sagte: „Selbstdenken ist
Marotte“
2
.
IV. Die Kunst
Die Gestaltenwelt einer Kultur ist ihre Kunst. Der Sachgehalt des
Gegenstandes erscheint nicht nur als gewußt (als vom Subjekte
unterschieden), sondern auch als Ausdruck der (platonischen) Idee,
die im Gegenstande sich d a r s t e l l t, das heißt aber, als Gestalt.
Dadurch erlangt der objektive Geist einen neuen Grundinhalt und