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Gewußten, das Wissen Grundlage der Kunst. Der Maler jeder Zeit

kennt Mensch, Tier und Pflanze als Gegenstand (man denke an die

vollendete Sachkenntnis der uralten Höhlenzeichnungen!), der Dich-

ter des Mythos und des Heldenliedes kennt Leben und Heldenschaft

als Gegenstand. Dieses daher: ihre ganze Bildung zu besitzen, hat

jede Zeit von ihren Künstlern verlangt. Sie müssen ihr die ange-

wandte Bildung, gleichsam den in die Einheit der Schöpfung zu-

rückgekehrten Gegenstand des Wissens geben! Wolframs Parzifal,

Goethes Faust, die Romantik, Schuberts Messen, Beethovens Sym-

phonien zeugen in ihren reflektierenden Teilen besonders deutlich

dafür, daß der Künstler stets den Umweg des Wissens nehmen müsse,

daß er nur über den Gegenstand zur Gestalt komme. Auch das Nibe-

lungenlied und die Sagas, Homer und das Mahabharatam sprechen

als Kenner von dem Leben, das sie verklärend gestalten. Dante tritt

in der „Göttlichen Komödie“ als Kenner der (thomistischen) Theo-

logie des christlichen Glaubens auf.

Hingegen zeigt die Geschichte überall, wie die nicht in Kunst verwandelte

Wissenschaft eines Zeitalters die Kultur gefährdet. Diese Wissenschaft ist dann

eine „aufklärerische“, eine solche, deren Trennung von Subjekt und Objekt,

Ding und All, unaufgehoben bleibt, die ihren metaphysischen Eingebungsgrund

verliert, daher auch nicht zur Gestalt wird. Kunst hat hier das Wissen nicht mehr

überhöht, echte Kunst kann nicht mehr entstehen und die Einheit des gesell-

schaftlichen Geistes geht verloren.

Endlich wäre noch eines möglichen Einwandes aus dem W e s e n

k ü n s t l e r i s c h e n S c h a f f e n s zu gedenken. Er besagt, daß

das Wissen nicht die begriffliche Voraussetzung (das logische Prius)

der Kunst sein könne, weil der Künstler mehr unbewußt als be-

wußt, weil er als Genie, nicht als Gelehrter wirke. Es ist richtig, daß

der entscheidende, hervorbringende Akt des Künstlers ein unbe-

wußter ist, aber dies beweist nicht, daß er ohne das vorhergegan-

gene Wissen des Gegenstandes möglich gewesen wäre, gleichsam freie

Bahn gehabt hätte. Braucht ja auch der wissenschaftliche Forscher

nicht zuerst Theologe zu werden und forscht auch nicht als Theo-

loge, und doch ist „Andacht alles Wissens Kern“, ist Eingebung und

das in ihr liegende Metaphysische die Bedingung zerlegenden Wis-

sens; wie denn auch ein Funke von Genie in j e d e m zerlegenden

Denken wirksam ist, und wäre es das einfachste! Religion ist nicht

als entwickeltes System am Grunde des Wissens, sondern im Kerne,

wesenhaft, unmittelbar. Ebenso ist Wissen nicht als Gebäude von