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Aus dem Vorigen folgt:

(2)

W i s s e n s c h a f t i s t v o r K u n s t ; aber Wissenschaft

will sich in Kunst verwandeln, um zu konkreter Wirklichkeit zu

gelangen.

Prüft man die Stellung der Religion, Wissenschaft und Kunst bei A r i -

s t o t e l e s , K a n t , H e g e l , so findet man (bei Hegel wenigstens in seiner

Phänomenologie) allerdings einen anderen Zusammenhang, indem 1. die Über-

einstimmung von Begriff und Objekt, 2. die Richtung auf das Allgemeine und

die Ursache, ferner 3. der widerspruchslose innere Zusammenhang der Wissens-

sätze (das System) bei diesen Denkern die Wissenschaft begründen und voll-

enden; ein Zurückgehen auf den Grund der Eingebung daher nicht stattfindet;

Kunst daher auch das Wissen nicht vollendet, eher umgekehrt Wissen die Kunst

vollendet, wonach Kunst vor Wissen wäre.

Anders ist es dagegen bei P l a t o n , bei dem das Wissen des Allgemeinen

auf die „hohe See des Schönen“ führt

1

, wo also eine I d e e n s c h a u alle

Wissenschaft begründet und diese sich in der Kunst vollendet.

Ebenso ist es bei S c h e l l i n g , bei dem das Wissen des Gegenstandes sich

in der Kunst zur Wiederherstellung der U r b i l d e r (Ideen) vollendet, wo-

durch ihm die Kunst zum „Organon der Philosophie“ wird. Und das gleiche gilt

für die R o m a n t i k e r , worunter besonders auf N o v a l i s u n d d i e B r ü -

d e r S c h l e g e l zu verweisen ist. Daß bei Schelling im „System des transzen-

dentalen Idealismus“ nicht der wissende, sondern der praktische Geist als der

unmittelbare Vorgänger der Kunst erscheint — Kunst also nicht wie nach unserer

Reihe die Einheit von Religion und Wissen bildet, das Wissen demnach

nicht den Vorrang vor Kunst hätte, vielmehr der praktische Geist (Sittlichkeit)

begrifflich vor Kunst wäre —, bedarf kaum einer Widerlegung.

Dagegen wird Religion als innere Voraussetzung der Wissenschaft von jeder

großen Philosophie erkannt. Nur oberflächlichen Aufklärern bleibt diese einfache

Wahrheit verborgen.

Weiterhin wäre eines Einwandes zu gedenken, den man den

v ö l k e r k u n d l i c h e n E i n w a n d nennen könnte. Da in den

einfachen Kulturen der Naturvölker die Kunst und überhaupt das

Schauen eine größere / Rolle spielt als heute, könnte die Frage auf-

geworfen werden, ob nicht damit die Kunst als dem Wissen vor-

geordnet erscheine? Bei näherer Überlegung zeigt sich aber, daß dem

nicht so sein könne. Um die G e s t a l t zu haben, muß immer der

Gegenstand vorher g e w u ß t werden. Darum gilt: Auch in jenen

einfachen Zeiten und Kulturen war die Kunst der Ausdruck eines

1

Platon: Gastmahl, 208 E. ff. u. ä.; Phaidros 250 B. D.; 7. Brief p. 342b.

Vgl. dazu: Platons Staatsschriften, griechisch und deutsch, herausgegeben von

Wilhelm Andreae, Teil 1: Briefe (= Die Herdflamme, Bd 5), S. 177. —Es ist

bekannt, daß Platons Stellungnahme nicht einheitlich ist. Vgl. Eduard Zeller:

Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung,Teil 2,

Abt. 1, 5. Aufl., Leipzig 1922, S. 936 ff.