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Auch eine Wert- und Preislehre im späteren Sinne der Klassiker kann-

ten die Merkantilisten nicht. Denn sie betrachteten den Preis nicht als

etwas mechanisch Gebildetes, sondern sahen ihn im engsten Zusammen-

hang mit der staatlichen Einflußnahme und ähnlich dem Mittelalter, unter

dem Gesichtspunkte der G e r e c h t i g k e i t .

In sozialphilosophischer Hinsicht weist der Merkantilismus mit dem

Gedanken der Z e n t r a l i s a t i o n u n d d e r S t a a t s a l l m a c h t auf

das individualistische Naturrecht hin

1

und teilt auch dessen rationalistische

und materialistische Neigung

2

. Sofern aber der Merkantilismus und na-

mentlich der Kameralismus

3

die Zünfte und Stände neben den bevorrech-

teten Großbetrieben in weitestem Maße bestehen läßt, und sofern er über-

all zugunsten des Gesamtwohls reglementierend eingreift, erscheint er

wieder als eine Lehre organischer Bindungen, als ein universalistisches

System, das die V o l k s w i r t s c h a f t n i c h t a l s a b s t r a k t e

S u m m e e i n z e l n e r W i r t s c h a f t e r u n d W i r t s c h a f t s t ä t i g -

k e i t e n a n s i e h t , sondern als staatlich bestimmte und von Organisa-

tionen durchdrungene G a n z h e i t . Doch kann dies erst später ganz

erklärt werden

4

.

A n m e r k u n g . Seitdem Adam Smith die Merkanitilisten als allzu

einheitliche Schule aufgefaßt hatte, um eine bequeme Antithese zu haben,

ist der Begriff des geschlossenen Merkantilsystems wiederholt berichtigt /

und dann von Oncken auf das Maß einer loseren Grundsatzlehre der

Wirtschaftspolitik herabgesetzt worden. Die neuerdings geäußerte Ansicht

aber, daß der Merkantilismus weder als theoretische noch politische Ein-

heit bestanden habe, übersieht sowohl die gleichen geistesgeschichtlichen

wie staatspolitischen und wirtschaftspolitischen Grundlagen der verschie-

denen Richtungen des Merkantilismus. Stets bilden die „Ökonomisten“

jener Zeiten in dem Streben, von der mittelalterlichen Zunft- und Natu-

ralwirtschaft zu einem einheitlichen inneren Markte mit Großgewerben

überzugehen, in der Hochschätzung der Handelsbilanz, des Geldes, des

Reichtums, der Zölle und im Streben nach Reglementierung („Wohlfahrts-

staat“) eine, wenn auch lockere und nicht widerspruchslose, so doch große,

bleibende Einheit.

S o m b a r t nannte den Merkantilismus die „Nationalökonomie des

F r ü h k a p i t a l i s m u s “ . Das ist aber nur bedingt richtig. Denn „Kapi-

talismus“ ist wirtschaftlicher Individualismus, der Merkantilismus aber

ein System zentralistischer Bindungen. Auch geschichtlich gesehen ist der

Merkantilismus nicht notwendig Vorstufe des Kapitalismus. Denn der

altindische, ptolemäische und mittelalterliche Merkantilismus (Kaiser

Friedrich II.) führte nicht zu einer kapitalistischen Entwicklung, sondern

zu späteren naturalwirtschaftlichen, dezentralistischen Rückbildungen der

Wirtschaft.

1

Siehe unten S. 32

ff

2

Siehe unten S. 33

3

Siehe unten S. 22

4

Siehe unten S. 37 ff.