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wird aber nur durch das Konkrete verwirklicht, durch die Stufe.
Darum gilt:
S t u f e i s t v o r T e i l i n h a l t ; Stufe muß in Teilinhalten
darstellen; demgemäß ist der befassende Vorrang (der Stufe) vor
dem begründenden (dem Teilinhalte).
C.
Die A b f o l g e i n d e r Z e i t o d e r
d e r g e n e t i s c h e V o r r a n g
Es wurde schon auseinandergesetzt
1
, daß in der realen Aufein-
anderfolge lediglich eine Werdensfolge, ein zeitliches, kein begriff-
liches Früher und Später bestehe. Darum ist der Name eines „gene-
tischen Vorranges“ nur im uneigentlichen Sinne gültig. Das zeit-
liche „Früher“ und das logische, wesenhafte „Früher“ sind zwei
verschiedene Begriffe und treffen daher oft nicht zusammen.
Ihre Nichtzusammengehörigkeit zeigt sich praktisch auch daran, daß das zeit-
lich Frühere wechselnder Art ist, also keinen wesenhaften, im Begriff der Sache
liegenden „Primat“ oder „Vor“-Rang in sich schließt. Zum Beispiel kann man
Feuer durch Reiben von Hölzern, durch Schlagen von Feuersteinen, durch elektri-
sche Funken, durch Zündhölzchen und noch andere Vorgänge erzeugen. Das zeit-
liche „Früher“ des Feuers ist also wechselnd und nicht begrifflich festgelegt.
Warum die zeitliche Werdensfolge den wesensmäßigen Vorrangfolgen nicht
zu entsprechen vermag, können wir einsichtig verstehen, wenn wir uns der
Ergebnisse über das Eintreten der „Hilfsganzheiten“ erinnern
2
. Die höhere Stufe
gliedert die unteren Stufen aus, aber dies geschieht nur begrifflich, sie bringt
sie damit noch nicht in wirklicher Werdensfolge hervor. Dazu ist noch nötig,
daß „Stoff“, „Materie“ für die / ausgliedernde Ganzheit zur Verfügung stehe -
Hilfen, Hilfsganzheiten. Der Baumeister gliedert das Haus aus — im Entwurf —,
aber zum wirklichen Bauen braucht es noch anderer Ganzheiten, z. B. der Arbeit
des Maurers, Zimmermanns und deren „Materialien“. — „Keine Ganzheit schafft
allein!“ Das Zusammentreffen vieler Ganzheiten, das in der jeweiligen Werdens-
folge liegt, schließt es aus, daß die wesensmäßigen Vorrangfolgen mit den zeit-
lichen immer übereinstimmen; es ergeben sich Vorgänge, die man als „mecha-
nisch-ursächliche“, in ihrer besonderen Gestalt als „zufällige“, zu bezeichnen
pflegt (ein Begriff, der allerdings selber nur bedingt gültig ist).
Das oben erläuterte Gesetz der Werdensfolge, daß Artgleiches nur aus Art-
gleichem komme, daß also die genetische Reihe immer in sich selbst geschlossen
bleibe, gilt nur genetisch; rein begrifflich gesehen, muß im Gegenteil der Teil-
inhalt von einem andern artverschiedenen Vorgeordneten „begründet“, „aus-
gewirkt“ werden oder von einer höheren Stufe! Jenes Gesetz ist daher kein
solches des Vorranges, sondern des Werdens, der „Umgliederung“
3
.
1
Siehe oben S. 164 ff.
2
Siehe oben S. 176.
3
Siehe in meiner Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, die Kategorie der
„Abstammung“, S. 96 und 215 ff.