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185

Diesen Sinn hat Meister Eckeharts Wort

1

: „In allen Dingen, auch im Übel

der Strafe wie in dem der Schuld, offenbart sich und leuchtet gleichermaßen

hervor die Herrlichkeit Gottes.“ — Ähnlich Goethe. Die Sphinx spricht zu Mephi-

stopheles

2

:

Sprich nur dich selbst aus, wird schon Rätsel sein.

Versuch’ einmal, dich innigst aufzulösen:

Dem frommen Manne nötig wie dem bösen,

Dem ein Plastron, ascetisch zu rapieren,

Kumpan dem andern, Tolles zu vollführen,

Und beides nur, um Zeus zu amüsieren.

Aus all dem folgt rein analytisch: Das V o l l k o m m e n e

i s t d a s G e s o l l t e , d a s U n v o l l k o m m e n e i s t d a s

U n g e s o l l t e .

Dieser Satz ist im Kampfe gegen die heute üblichen empiristi-

schen Irrtümer wie namentlich auch gegen den „Wert“-Begriff der

Neukantianer von Bedeutung: Das „Sollen“ ist nicht primär ein

„normativer“, das will sagen, ein imperativischer Begriff; und es ist

noch weniger ein subjektiver Begriff. „Sollen“ ist etwas, was mit

Subjektivität und auch mit seiner imperativischen (normierend-

befehlenden) Form dem ursprünglichen Wesen nach nichts zu tun

hat. G e s o l l t h e i t i s t s e i n e m e r s t e n W e s e n n a c h

e i n o n t o l o g i s c h e r B e g r i f f . Denn der Begriff des „Voll-

kommenen“ ist der subjektiven Ansicht durchaus entzogen. „Voll-

kommen“ ist ein Ding nach den eigenen, in ihm selbst liegenden

Sacherfordernissen: in welchem Zustande das physiologische Leben

eines Organismus „gesund“, das heißt vollkommen ausgegliedert ist,

wird durch die Sacherfordernisse des organischen Lebensvorganges

selbst bestimmt, z. B. sind „Speise“ (richtiges Erfordernis des Le-

bens) und „Gift“ von den Sacherfordernissen des physiologischen

Lebensganges bestimmt, nicht von subjektiven Urteilen darüber, ob

man einen Organismus erhalten oder vergiften soll; richtiges und

unrichtiges Denken; vollkommene oder unvollkommene Gestaltung

(in der Kunst); richtige Wirtschaft oder Mißwirtschaft — das sind

Urteile, die aus den objektiven, inneren Sacherfordernissen gefällt

werden müssen und einzig und allein aus diesen heraus beurteilt

werden können: Sachsouveränität gegen subjektive Wünsche!

Damit ist bewiesen, daß der Satz „Das Vollkommene ist das Ge-

sollte, das Unvollkommene ist das Ungesollte“ im Seinsbestande der

1

Vgl. Nummer 4 der verworfenen Sätze.

2

Goethe: Faust, zweiter Teil, 2. Akt, Vers 7132 ff.