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Daraus ergibt sich aber für die Logik, was sich schon wiederholt

zeigte: Der Begriff geht jeweils auf das reine Wesen seines Gegen-

standes, auf das Vollkommene desselben.

B. W o h e r d a s B e w u ß t s e i n d e s S o l l e n s ?

D a s G e w i s s e n

Damit ist bereits ein fester Standpunkt für alle Sittenlehre ge-

wonnen: das Sollen wird aus dem Sein erkannt. Indem der Begriff

einer Sache auf sein reines, vollkommenes Sein geht, kommt zu-

gleich das unvollkommene, fehlerhafte zum Vorschein. Dies ge-

schieht aus den Wesenserfordernissen der Dinge heraus, nicht aus

subjektiven „Wertschätzungen“.

Wir k ö n n e n w i s s e n , w a s w i r s o l l e n , w e i l w i r

d a s S o l l e n a u s d e m S a c h g e h a l t e d e r D i n g e e r -

k e n n e n k ö n n e n , aus dem Sein. Wenn daher Empiristen,

Neukantianer und die geschichtliche Schule der Sozialwissenschaften

behaupten, das Werturteil wäre subjektiv, die Weltanschauung, das

Gefühl, den Geschmack könne man niemandem beweisen; in der

Wissen- / Schaft aber müsse man beweisen, daher gebe es dort keinen

Streit um die Werturteile (wie auch die Sonnenfinsternis weder sein

soll noch nicht sein soll, sondern ist) — dann ist dies von Grund

auf verkehrt. Jedes Sein hat seinen Sach- oder Wesensgehalt, und

dieser kann durch Erkenntnis abgelesen, kann als erreicht oder

nicht erreicht bestimmt werden.

Gerade die Gesellschaftswissenschaft beweist das. Sie ist unmög-

lich, wenn sie nicht mit Wesensurteilen, das heißt aber schon Voll-

kommenheitsbestimmungen, also Werturteilen, arbeitet. Wie

könnte man z. B. Geschichte schreiben, ohne von Aufschwung und

Verfall zu reden; wie Religionsgeschichte, ohne von höheren und

niederen Religionen; wie Kunstgeschichte, ohne von aufsteigenden

und niedergehenden Kunstepochen, von Schönem und Häßlichem;

wie Physiologie und Medizin, ohne vom gesunden und kranken

Organismus zu sprechen? Meinungsverschiedenheiten werden wohl

immer bestehen, aber entscheidend ist, daß auch diese Meinungs-

verschiedenheiten nicht ohne Vollkommenheitsbestimmungen, Wer-

tungen möglich seien, wie sie denn nicht nur Abweichungen, son-