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1.
Das jeweils Vorgeordnete ist gegenüber dem Nachgeordneten
ein Gut, daher insbesondere das Geistursprüngliche gegenüber dem
Abgeleiteten. Das heißt, die höhere Stufe ist gegenüber der niederen
ein Gut; der vorgeordnete Teilinhalt gegenüber dem nachgeordne-
ten. Daher, je höher das zu erlangende Vollkommene im Stufen-
baue der Ganzheiten und in der Rangordnung der Teilinhalte steht,
ein um so höheres Gut ist es.
2.
Die Mitte ist Seinsgrund für den Umkreis und daher für ihn
ein Gut. Zum Beispiel, der vollkommene Staatsmann ist ein Gut
für den Bürger, das Staatsglied, der vollkommene Feldherr ein Gut
für den Krieger, das Heeresglied.
3.
In der Gezweiung ist einer dem andern ein Gut: aber das füh-
rende Glied ist es dem Geführten in höherem Maße. Ferner ist der
geistige Inhalt, das Vollkommene, das die Gezweiung zutage för-
dert, beiden ein Gut. Daher ist in der Gezweiung insbesondere die
Führung ein Vollkommenheitsgut gegenüber der Nachfolge; der
Führer ist ein höheres Gut als der Geführte, jedoch nicht in seiner
Eigenschaft als Person, sondern als Träger höherer geistiger Inhalte.
Der erste Satz führt dazu: nach der Zergliederung des objektiven
Geistes eine G ü t e r t a f e l zu entwerfen. Auf diese Aufgabe wer-
den wir erst später zurückzukommen haben, wenn wir auch die
Tugendlehre und andere Begriffe mitbetrachten können. An dieser
Stelle ist nur noch der / grundsätzlichen Frage zu gedenken: ob diese
Stufenleiter auf ein h ö c h s t e s Gut führen müsse. Sie ist zu be-
jahen, insofern (a) im Stufenbau der Ganzheiten und (b) in der
Rangordnung der Teilinhalte des objektiven Geistes ein höchster
Punkt erreicht werden muß. Diese Antwort, deren analytische Be-
gründung sich später von selbst ergibt, führt wieder zur uralten
Lehre aller idealistischen Gesellschaftsphilosophie zurück und lautet:
Gott ist das höchste Gut.
Dieser Satz ergibt sich in diesem unserem Zusammenhange nicht
etwa aus religiösen Gesichtspunkten, sondern aus den Vorrangsätzen
des objektiven Geistes und aus dem Gefüge der Ganzheit. Er ergibt
sich aber auch aus den Begriffen der Gezweiung und Rückverbun-
denheit: Gezweiung begründet zwar die Gesellschaft der Menschen,
aber Rückverbundenheit der Menschen in Gott erst die Gezweiung.
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