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Insoferne nun die Rückverbundenheitserfahrung eine mystische ist,

w i r d d i e S i t t l i c h k e i t z u l e t z t d u r c h d i e M y -

s t i k b e g r ü n d e t

1

.

Gott erscheint im Gegensatze zu den andern Gütern als solcher

in der Welt nicht und daher auch nicht im objektiven Geiste; aber

diejenigen Inhalte des objektiven Geistes, welche die Rückverbin-

dung mit dem Übergesellschaftlichen, Göttlichen, am nächsten her-

steilen, Religion und metaphysische Philosophie

2

, haben den abso-

luten Vorrang im objektiven Geiste; demgemäß in jeder geschicht-

lichen Kultur. Darum gibt es nur e i n Ziel für alle Gebilde der

Gesellschaft und für alle ihre Glieder, die einzelnen Menschen: nach

Maßgabe ihrer Eigenart und Gliedhaftigkeit sich mit dem höchsten

Gute zu erfüllen. In höchster mystischer Form ist dies die Ver-

ähnlichung mit Gott, die V e r g o t t u n g .

Endlich liegt im Rückverbundenheitsbewußtsein: die G o t t e s -

l i e b e . Gottesliebe hat den Vorrang vor Menschenliebe, gleich

wie Rückverbundenheit vor Gezweiung.

Mit Gott als dem höchsten Gute hat die R a n g l e h r e d e r

G ü t e r einen festen Ankergrund gewonnen. Die Frage nach der

Rangabstufung der Güter kann nach dem ganzheitlichen Verfahren

in streng analytischer Weise gelöst werden. Mit Hilfe dieses Ver-

fahrens kann die Sittenlehre durch die Zergliederung von Inhalt

und Aufbau des objektiven Geistes zur Aufstellung einer G ü t e r -

t a f e l schreiten. Ein späterer Zusammenhang wird uns zu dieser

Frage wieder zurückführen

3

.

Der Satz „Gott ist das höchste Gut“ zeigt aber auch wieder die

grundlegende Bedeutung des Begriffes des Jenseitigen für die Sitten-

lehre — im subjektiven Geiste nicht nur, sondern auch im objek-

tiven Geiste; eine Einsicht, die sich ebenfalls rein analytisch aus

dem ganzheitlichen Gefüge des objektiven Geistes ergibt (nicht nur

vom Standpunkte der Religion und Metaphysik).

Hier ist nochmals zu der heute so viel beredeten L e h r e v o n d e n W e r -

t e n Stellung zu nehmen, von deren Lärm die heutige neukantisch eingestellte

Sittenlehre widerhallt. Die S i t t e n l e h r e i s t n i c h t z u e r s t e i n e

L e h r e v o n d e n W e r t e n , s o n d e r n v o n d e n G ü t e r n . Gewiß

1

Vgl. meine Religionsphilosophie, Wien 1947, S. 120

2

Siehe oben S. 120.

3

Siehe unten S. 220 ff.