196
[126/127]
Darum wird Kultus und Gebet, wird in der christlichen Religion
vor allem das Sakrament als „Heilsgut“ bezeichnet. (Brot und Mehl
dagegen sind nur äußere Mittel.)
Grundsätzlich Entsprechendes findet sich nun auf allen Gebieten
des gesellschaftlichen Geistes. In der Wissenschaft ist das Vollkom-
menheitsgut das Wissen. Mit Wissen erfüllt man sich durch den
wiederherstellenden, vervollkommnenden Vorgang des Lernens und
Forschens. Die inneren Bestimmungsstücke dieses Vorganges: der
Lehrplan, die Übung, das Verfahren des Forschens, die Sammlung
(und wieder deren eigene Verfahren) — das sind nicht etwa bloß
äußere Mittel; vielmehr gehören sie schon dem inneren Erneue-
rungsgange selbst an. Sie entsprechen dem, was Gebete, Kultus,
Sakrament in der Religion sind.
Auch in der Kunst sind es ähnliche innere Wege, welche der Geist
zu gehen hat: die Auswahl der Vorbilder, an denen sich der Künstler
bildet, das wachsende Verstehen und Durchkennen der großen Mei-
ster, die Stärkung der Eingebung durch Sammlung, umfassende
Kenntnisse, Übung, das sind ihre Heilsgüter. Papier, Drucker-
schwärze, Lehrbücher, Pinsel, Farbe dagegen sind, wie in der Wissen-
schaft, nur äußere Mittel, nur Güter wirtschaftlicher Art.
Mit dem Begriffe des Heilsgutes ist ein wichtiger Begriff der
Sittenlehre gewonnen, welcher merkwürdigerweise in den bisheri-
gen Lehrgebäuden fehlt. Eine Güterlehre ist aber ohne die Unter-
scheidung von ursprünglichem Gut, Heilsgut und äußerem Mittel
nicht zu entwickeln. Das Vollkommenheitsgut ist seinsbegründend
und ist / das ursprüngliche Gute selbst; das wiederherstellende Gute
oder die Sittlichkeit aber hat die Heilsgüter oder wiederherstellen-
den Güter als Bestandteile des inneren Erneuerungsganges in sich.
Wer mit Gott vereinigt ist, wie der Heilige in der Ekstase, bedarf
keines Heilsgutes, keines Sakramentes; wer die Weisheit in sich hat,
bedarf keiner Lehre und keines Lehrplanes, keines Weges der Samm-
lung, keiner Forschung und keines Verfahrens hierzu; ebenso wer
„inwendig voller Bilder ist“ (Dürer), der vollendete Maler und
Künstler. Die Heilsgüter sind also F ü h r e r zum seinsbegründen-
den Gut, innere Bestandteile der Erneuerung; die äußeren Mittel
dagegen gehören nicht dem inneren Vervollkommnungsgange selbst
an. — Das z w e i e r l e i G u t e , das wir früher unterschieden —
die ursprüngliche Vollkommenheit und die Richtung auf das Voll-