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Obgleich die wirtschaftlichen Güter äußerlich sind, sind sie — was gegen den
üblichen Irrtum der heutigen Volkswirtschaftslehre hervorgehoben sei — nicht
notwendig s t o f f l i c h (Beispiel: Ziegelstein), sie können auch g e i s t i g sein
(Beispiel: ein Lied, das gespielt, ein Erfindergedanke, der gebraucht wird); sie
können auch vom höheren geistigen Leben stammen, das dem Geistursprünglichen
angehört und in sich selbst einen Wert einschließt, oder dem sittlichen Leben
entstammen und daher den Sittenwert an sich haben. Zum Beispiel kann die durch
Religion bestimmte Moral und die dadurch erlangte Rechtlichkeit als „Wirt-
schaftsmoral“ und „Wirtschaftsrecht“ selbst zum Wirtschafts m i t t e l werden.
Wo Treue und Glauben herrschen, bedarf es weniger gerichtlicher Eingriffe und
Prozeßkosten, wo ein gutes Wechselrecht besteht, kann der Kredit billiger
werden; wo mathematische Forschung und Schulung ist, können die mathemati-
schen Kenntnisse in der Wirtschaftspraxis und Technik — z. B. mathematische
Formeln für den Brückenbau — nachträglich verwendet werden. Die Religion
bleibt darum in ihrer Ebene doch Religion, die Moral Moral, die Mathematik
Mathematik — als ursprüngliche Güter.
Wenn solchermaßen die dem Geistursprünglichen und dem Sittenleben ange-
hörigen geistigen Wirklichkeiten n a c h t r ä g l i c h zum äußeren Wirtschafts-
mittel werden, so entstehen damit doch andere Mittel als jene, die von Anbeginn
als rein wirtschaftliche (in sich wertlose) geschaffen werden. Die vom Geiste ab-
geleiteten Mittel haben also eine zweifache Stellung: einmal in der Kulturwelt und
dann (nachträglich) in der wirtschaftlichen Welt. Man kann sie passend „M i t t e l
h ö h e r e n S t a m m e s “ nennen
1
.
Die Welt der wirtschaftlichen Mittel, sagten wir, gehört nicht
ursprünglich dem sittlichen Lebensbereiche an, sondern ist willig,
jedem Lebensbereiche untergeordnet zu werden. Daher es zu den
wichtigsten Erkenntnissen gehört, die namentlich angesichts der
herrschenden individualistischen Schulen der Volkswirtschaftslehre
(welche in der Wirtschaft mathematisch-mechanische Gesetze, Na-
turgesetze am Werke sehen wollen) ins Bewußtsein gebracht werden
muß: daß die Wirtschaftstheorie eine rein formale Wissenschaft sei.
Die Wirtschaftstheorie erklärt die Gesetze des Gliederbaues der
Wirtschaft — die arteigenen, aber sinnvoll-ganzheitlichen Gesetze,
nicht etwa mechanische Naturgesetze! —, wie sie in jeder geschicht-
lichen Wirtschaft gelten müssen. Erst in der Sittenlehre beginnt die
inhaltliche Bestimmung des Wirtschaftslebens. Denn erst davon, wie
die Welt der Ziele aussieht, hängt es ab, wie die Wirtschaft, die
Welt der Mittel, aussehen s o l l , unbeschadet der verhältnismäßi-
gen, nämlich gliedhaften Eigengesetzlichkeit aller Wirtschaft inner-
halb der Gesellschaft.
1
Vgl. mein Fundament der Volkswirtschaftslehre, 4. Aufl., Jena 1929,
§§ 10 und 23, S. 95 ff. und 171 ff.