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ist sie gerade als solche auch eine Rangfeststellung, also Wertfeststellung. Aber
nicht um Begriff und Wesen des „Wertes“ handelt es sich dabei zuerst; daher
auch nicht zuerst um „G e l t u n g“, „N o r m“, „ S o l l e n“ und ähnliche Be-
griffe der neukantischen Wertlehre. Wir setzten oben auseinander, wie vielmehr
die Begriffe der Vollkommenheit und Unvollkommenheit (Reinausgliederung
und Fehlausgliederung) an der Spitze stehen; / daraus sich die Vervollkommnung
oder Wiederherstellung als Sittlichkeit ergibt; daraus der Begriff des Gutes
folgt. All diesem haftet der Wertbegriff an; aber er ist nicht führend, sondern
abgeleitet. Denn Vollkommenheit und Unvollkommenheit sind in den S a c h -
e r f o r d e r n i s s e n des Wesens der Dinge begründet — nicht darin, daß
„Werte“ über dem „Sein“ schweben und gegen das Sein als „Geltung“ auftreten!
Es g i b t k e i n e e i g e n e „ W e l t d e r W e r t e “ n e b e n d e r W e l t
d e r G ü t e r u n d d e s S e i n s . D i e W e r t e s i n d n i c h t i n s i c h
s e l b s t v e r a n k e r t u n d k o m m e n n a c h t r ä g l i c h z u m S e i n h e r -
u n t e r , s o n d e r n s i e s i n d A u s d r u c k e i n e r o n t o l o g i s c h e n
S t e l l u n g d e r D i n g e i n d e r G ü t e r o r d n u n g .
Alle echte Sittenlehre ist daher zuerst Güterlehre, nicht Wertlehre. Der Be-
griff des Wertes ergibt sich erst nachträglich aus jenem des Gutes und aus der
G ü t e r o r d n u n g , die ein ontologischer Begriff ist. Das Haften am „Wert-“
und „Geltungsbegriffe“ in der heutigen Philosophie ist der Ausdruck dafür, daß
sie die Ontologie noch nicht erreicht hat; und auch der Ausdruck dafür, daß
sie keine Möglichkeit hat, den Wert mit der Wirklichkeit zu „verbinden“. Das
kommt daher, daß dieser Philosophie die Wirklichkeit schon durch anderes be-
stimmt ist; durch mathematisch-physikalische Gesetze; weshalb ihr Wesensbe-
griffe nicht mehr bestimmend sein können. Darum ist ihr der Begriff „Gut“
unerreichbar. „Gut“ gegen „Wert“ ist kein bloßer Wortstreit.
B.
Das H e i l s g u t o d e r w i e d e r h e r s t e l l e n d e G u t
Die Richtung des Geistes auf das Vollkommene ist ein wieder-
herstellendes Handeln, das nun seinerseits wieder einen bestimmten
Gang nimmt. Dabei ergeben sich im sachlichen Verlaufe dieses
Ganges bestimmte objektive, u n m i t t e l b a r e f ö r d e r l i c h e
Momente, die als solche verhältnismäßige Selbständigkeit haben.
Diese dürfen wir im weiteren Sinne auch als „Güter“ bezeichnen;
sie sind aber nicht selbst die seinsbegründende Vollkommenheit,
sondern nur ein objektives Moment im Verlaufe der Vervollkomm-
nung, der Wiederherstellung, eine Stelle am inneren Wege, ein
Ordnungsbestandteil der Vervollkommnung: also nicht etwa ein
äußeres Mittel. Am klarsten ist der Sachverhalt in der Religion.
Das Vollkommenheitsgut in ihr ist Gott. Um den Menschen mit
Gott zu erfüllen, sind dort Kultus und Gebet der innere Weg dazu,
ein inneres Moment der Vervollkommnung, der Wiederherstellung.