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Mittelpunkte stehen. In der ontologisch und soziologisch begründe-

ten ist es, wie gezeigt, der Begriff des objektiven, sittlichen G u t e s ,

der alles beherrscht. Das Vollkommene ist es dann, das als Z i e l

des Unvollkommenen zum Gute wird; ihm wendet sich das Un-

vollkommene — die Gesellschaft wie deren Glieder, die Einzelnen

— in seiner Wiederherstellung zu, mit ihm erfüllt es sich. Dem Gute

entspricht die Tauglichkeit, Tüchtigkeit des Menschen oder des

gesellschaftlichen Gebildes zur Durchführung des Wiederherstel-

lungsvorganges, die Tugend, als eine zwar abhängige, aber durchaus

arteigene Erscheinung. Denn die Tugend wird nicht allein durch das

Gut bestimmt, sondern auch durch die arteigene Beschaffenheit

dessen, was wiederhergestellt werden soll, der menschlichen Seele

oder des gesellschaftlichen Gebildes. Anders aber steht es mit dem

Begriffe der Pflicht. Hier ist keine arteigene Grundlage mehr, nichts

grundsätzlich Neues, das zum sittlichen Vorgang hinzukäme. Es ist

lediglich die G ü l t i g k e i t des Gutes — das heißt der Voll-

kommenheit als Ziel —, die im Pflichtbegriffe hervortritt; anders

gesagt, die V e r b i n d l i c h k e i t für Mensch und Gesellschafts-

gebilde, jene Richtung auf das Vollkommene anzunehmen, die durch

das Gut jeweils vorgezeichnet ist. Daher ist „Pflicht“ stets einerlei

mit der ideellen Notwendigkeit, sich — durch Tugend — mit dem

Gute zu erfüllen.

/

Damit ist aber die durchaus abgeleitete Stellung des Pflichtbe-

griffes gegeben. Neben dem Gute, neben der Tugend gibt es nicht

noch eine arteigene Pflicht. Es gibt nur die Pflicht, das Gut zu er-

langen, nicht neben den Gütern und Tugenden noch eigene Pflich-

ten. Es gibt wohl eine eigene Tafel der Tugenden, welche der Tafel

der Güter entspricht; es gibt aber daneben nicht noch eine Tafel

der Pflichten. Diese Pflichtentafel müßte mit jener der Tugenden

einerlei sein. Es gibt z. B. die Tugend der L e r n b e f l i s s e n -

h e i t , die zur Erfüllung mit dem Gute, dem Wissen, führen soll;

es gibt die Tugend der F r ö m m i g k e i t neben dem religiösen

Gute (Gott), zu dem sie führen soll. Spricht man von einer „Pflicht“

zur Lernbeflissenheit und zur Frömmigkeit, so drückt man damit

wohl die Gültigkeit, Verbindlichkeit des Gutes und der Tugend

aus, aber man fügt zur Tugend nichts Neues hinzu. Darum, sooft

man versucht, eine Pflicht auszusprechen, spricht man in Wahrheit

eine Tugend aus. Es gibt, wie eine Pflicht zur Tugend der Frömmig-