Table of Contents Table of Contents
Previous Page  5080 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 5080 / 9133 Next Page
Page Background

204

[132/133]

keit, so eine Pflicht zur Tugend der Wissensaneignung, Beflissenheit

und Verstandesstärke, zur Schönheitsliebe, Kunstbeflissenheit, zur

Tapferkeit usw. Pflichten und Tugenden haben gleiche Namen. Eine

eigene Pflichtenlehre neben der Tugendlehre ist unmöglich.

Die Denkaufgabe, die im Pflichtbegriffe enthalten ist, besteht

lediglich darin, jene „Verbindlichkeit“, in der Kant richtig das

Wesen der Pflicht sieht, zu erklären. Kant erklärt sie aus dem

s i t t l i c h e n A p r i o r i . U n d e i n s u b j e k t i v e s sittliches

Apriori, wie es Kant annimmt, kann in der Tat nur zum Pflicht-

begriffe (nicht zum Gutbegriffe) führen. Andererseits war darin

allerdings jene hochbedeutsame Überwindung des Empirismus be-

schlossen, die das Kantische Lebenswerk überall bezeichnet. Nicht

der äußere Nutzen begründet nun bei Kant das Sittliche, wie die

Empiristen und Utilitätsethiker behaupteten, sondern eine apriori-

sche innere Notwendigkeit, Verbindlichkeit, Gültigkeit an sich.

Es ist unbedingt notwendig, daß dieser Pflichtbegriff, der nicht

auf Nützlichkeit beruht und darum in diesem Sinne, wie bei Kant,

immer eine a p r i o r i s c h e Verbindlichkeit bedeutet, aufrecht-

erhalten bleibe. Im Aufbau unserer Sittenlehre und Gesellschafts-

philosophie ergibt sich ebenfalls eine ü b e r e m p i r i s c h e V e r -

b i n d l i c h k e i t , also eine Apriorität aller sittlichen Forderun-

gen. Aber sie ist nicht nur s u b j e k t i v , wie bei Kant, sondern

weit umfassender, nämlich übersubjektiv, ontologisch

1

. Es ist die

„Ausgliederungsordnung“ des ob- / jektiven Geistes, der Ge-

meinschaft, welche den einzelnen Menschen die Richtung auf das

Vollkommene weist. Wodurch aber ist dieser Hinweis verbindlich?

Das ist die entscheidende Frage. Und sie löst sich durch den Begriff

der Gliedhaftigkeit des Einzelnen im objektiven Geiste. Wird der

Einzelne als selbstbestimmt (autark, isoliert) aufgefaßt, so ist die

Verbindlichkeit zur Eingliederung in ein Über-Dir nicht mehr aus

dem Wesen des Menschen abzuleiten. Anders, wenn er als gliedhaft

bestimmt, als in Gezweiung werdend verstanden wird. Die V e r -

1

Auch die Verbindlichkeit nur und unmittelbar auf Gottes W i l l e n zu

stützen, wie von scotistischer Seite geschieht, reicht nicht hin, da sie in diesem

Falle nicht aus dem W e s e n d e r D i n g e , der sittlichen Welt bewiesen wird.

Gottes bestimmter Wille schafft eine bestimmte Welt. Aus dem W e s e n u n d

d e m G e f ü g e dieser Welt muß für die Wissenschaft die Verbindlichkeit des

Sittlichen erklärt, bewiesen werden, nicht aus einem im Wesen der Schöpfung

nicht verankerten göttlichen Gebote — das hieße ja aus göttlicher Willkür!