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Objektiven, suchen, das a b e r d o c h z u g l e i c h i m I c h
n a c h w e i s b a r i s t . Es muß eine / übersubjektiv begründete
Wirklichkeit und Vollkommenheit sein, von der der Mensch Maß
und Gesetz seiner Wiedervervollkommnung empfängt. Das Vor-
empirische oder Apriori dieser ontologisch begründeten Sitten-
lehre liegt daher in der objektiven Ausgliederungsordnung des
Geistes, die selber wieder metaphysisch in der Ideenwelt gegründet
ist. Diese Apriorität des objektiven Geistes tritt aber erst in Er-
scheinung durch das Zurückbleiben des subjektiven Geistes hinter
seiner vollkommenen Gliedschaft; was ja auch schon in sich schließt,
daß der objektive Geist selbst nur unvollkommen erscheine, da er
nur in den Gliedern erscheinen kann.
An dieser Stelle zeigt sich abermals das inhaltliche Zusammen-
fallen von Tugend und Pflicht: Pflicht ist das Gesollte der Tugend.
Das Apriorische der Verbindlichkeit, Gesolltheit der Tugend
äußert sich im subjektiven Geiste als G e w i s s e n . Das Nicht-zu-
Bannende der Verbindlichkeit tritt subjektiv im Gewissen zutage.
Das Gewissen ist der Mahner zur Pflicht, als dessen Wurzelgrund
wir die Erkenntnis des Vollkommenen und — noch tiefer — die
Bestimmung des Menschen zur Vollkommenheit erkannten
1
. Das
g u t e G e w i s s e n ist der Ausdruck erfüllter Pflicht, was so viel
heißt als geübter Tugend, wenn auch religiöser Tugend, dann ein
mit Gott versöhntes Gewissen.
Als das Gesollte der Tugend ist die Pflicht das sittliche Gesetz.
In ihrer allgemeinsten Form heißen daher mit Recht seit Kant die
Pflichten schlechthin das S i t t e n g e s e t z .
Der Begriff eines einzigen, a l l g e m e i n e n Sittengesetzes fin-
det sich wohl zum ersten Male bei Kant und wurde von Kant zum
ersten Male als „ k a t e g o r i s c h e r I m p e r a t i v “ bestimmt,
das heißt als bedingungsloses Gebot. Da ihm dieser Imperativ ge-
mäß dem zugrunde liegenden Apriori nur subjektiv ist, mußte sich
daraus eine nur f o r m a l e Sittenlehre ergeben. Kant hat den
kategorischen Imperativ in vielen Formulierungen gegeben. Die
bekannteste lautet: „H a n d l e s o , d a ß d i e M a x i m e d e i -
n e s W i l l e n s j e d e r z e i t z u g l e i c h a l s P r i n z i p
e i n e r a l l g e m e i n e n G e s e t z g e b u n g d i e n e n
1
Siehe oben S. 55 ff.