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perativ auftritt, eine grundlegende Stellung des Begriffes der Liebe von Anbe-
ginn aus. Die Liebe ist hier nur noch eine psychologische Erscheinung. In der
späteren Lehre F i c h t e s sowie bei P l a t o n wird allerdings von der mysti-
schen Seite her das Wesen der Liebe aufs tiefste dargelegt, aber eine Stelle in
der Sittenlehre vermag sie bei beiden nicht einzunehmen. Zu leicht wird sie von
beiden als ein Sichaufgeben, Verwandeln in Unendliches behandelt, womit (als
einem sozusagen verneinenden Begriffe) im Aufbau der Grundbegriffe der Sit-
tenlehre nicht ernst gemacht werden kann. Denn im sittlichen Vorgange muß sich
die Ichheit nicht nur erhalten, sie muß sich sogar stärken und höher bilden.
Ähnlich wie die Genannten S c h l e i e r m a c h e r u n d H e g e l
1
.
Um das Geheimnis der Liebe zu ergründen, muß die Zweiheit in der Einheit,
die Persönlichkeit in der Gemeinschaft (Gezweiung) erklärt und auch festge-
halten werden. Das vermag nur der ganzheitliche Lehrbegriff, in seiner vollen
Strenge gefaßt, zu leisten.
F. Das G e z w e i u n g s b e w u ß t s e i n .
D e r T u g e n d g r u n d . D i e P e r s ö n l i c h k e i t
Nun wir die Grundbegriffe der Güter-, Tugend- und Pflichten-
lehre überblicken, kehren wir wieder zum Anfange zurück, zur
Gezweiung.
1.
Die Gezweiung: Hingebung oder Liebe.
Mittewendigkeit oder objektive Gerechtigkeit
Das Gezweiungsbewußtsein steht in der subjektiven Geisteslehre
am Beginne, es ist dort der erste konkrete Teilinhalt vor Wissen
und Kunst und bildet auch einen Teil des Geistursprünglichen. In
der Gesellschaftslehre und Gesellschaftsphilosophie hingegen er-
scheint es nicht als eigener Teilinhalt und gehört demgemäß auch
nicht dem Geistursprünglichen als Teilinhalt an. Hier erscheint
die Gezweiung vielmehr als die Grundlage, auf der alles ruht, der
Stoff, aus dem alles gemacht ist. Gezweiung in reinster Form ist
Liebe. Ohne jegliche Liebe kann es weder Religion noch Wissen-
schaft noch Kunst geben noch gemeinsames Handeln. Eben darum
kann sie keinen eigenen, abgegrenzten Bereich bilden.
1
Vgl. z. B. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie
des Rechtes, in: Hegels Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, herausgegeben von
Alfred Baeumler, Teil i: Philosophie des Geistes und Rechtsphilosophie (= Die
Herdflamme, Bd 11), Jena 1927, Zusatz zu § 158: „Die Liebe ist...“ Aufgeben
und Wiedergewinnung der Persönlichkeit, „ . . . daher der ungeheuerste Wider-
spruch, den der Verstand nicht lösen kann ...“
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