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das Über-Dir, es ist die objektive, überindividuelle Ausgliederungs-

ordnung, die sowohl dem sittlichen wie dem rechtlichen Gebote

ihre Gültigkeit verleiht. Wenn im praktischen Leben oft die Äußer-

lichkeit der Rechtsbefolgung an die Stelle innerer Gutheißung tritt,

so ist dies lediglich ein Unvollkommenheitszeichen des empirischen

Rechtslebens, durchaus kein Wesensmerkmal. Die letzte Wurzel

dieses großen Irrtums Kantens liegt im Individualismus seiner

Gesellschafts- und Rechtslehre

1

.

Das F o r m a l i s t i s c h e endlich, das sich in dem Versuche,

eine einzige, allgemeine Norm, einen „kategorischen Imperativ“,

zu formulieren, zeigt, liegt abermals am Subjektiven, Individua-

listischen des Kantischen Ausgangspunktes, wie oben schon erwähnt

wurde

2

. Andernfalls stünde nichts im Wege, einen Organismus

inhaltlich bestimmter Pflichten aufzustellen, die objektiv begründet

werden. Auch hier zeigt sich die Übergangsstellung der Kantischen

Philosophie. Fichte, Schelling, Hegel, Schleiermacher und die Ro-

mantiker führten das Kantische Werk weiter und kamen zu einer

inhaltlichen Sittenlehre. Sie überwanden das Formalistische, und

zwar auf dem Wege über das Über-Dir. Sie führten daher nicht das

Formelle zum „Materialen“ fort, wie die Heutigen versuchen; und

daher auch nicht den Pflichtbegriff zum „Wertbegriff“, wie gleich-

falls fälschlich versucht wurde; sondern richtig das Subjektive zum

Objektiven. Eine „inhaltliche Sittenlehre“ braucht, wie man sieht,

nicht erst heute entdeckt zu werden: der ganze deutsche Idealismus

besaß sie; und der ältere Idealismus des Mittelalters und der Grie-

chen besaß sie ebenfalls.

Die Frage kann nicht lauten: „Formal oder

material?“ — sondern nur: „Subjektiv oder übersubjektiv?“ —

individualistisch oder universalistisch, atomistisch oder ganzheit-

lich? Denn die inhaltliche Sittenlehre kann nur auf dem Grunde der

Lehre vom objektiven Geiste, das heißt aber der G e s e l l -

s c h a f t s l e h r e entwickelt werden

3

.

/

L e h r g e s c h i c h t l i c h betrachtet, fällt es auf, daß der Begriff der Liebe

in keiner Sittenlehre eine grundlegende Stellung erlangte: Der Begriff der Liebe

ist in Wahrheit von einem anderen als dem ganzheitlichen Standpunkte aus weder

erschöpfend zu bestimmen noch in der Sittenlehre einzubauen! Bei K a n t

schließt die alleinige Verbindlichkeit des Sittengesetzes, das als kategorischer Im-

1

Siehe oben S. 58 f.

2

Siehe oben S. 54 f.

3

Weiteres darüber siehe unten S. 220