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heit als den durch Gezweiung hindurch gibt es nicht. Die Erfüllung

des Einzelnen mit dem vollkommenen Gute ist nur möglich, wenn

er dem Corpus des vollkommenen Gutes angehört. Eben das ge-

schieht durch Gliedhaftigkeit. Sie leiten den sittlichen Vorgang ein.

Denn indem die Gliedhaftigkeit in den zwei Formen der Hin-

gegebenheit und Mittewendigkeit erscheint, braucht die Hinge-

gebenheit nur festgehalten und im späteren Werdegang wesens-

gemäß weiter verfolgt zu werden; braucht ebenso die Mittewendig-

keit bei all den Änderungen und Umbildungen des Geschehens nur

festgehalten und wesensgemäß weiter verfolgt zu werden.

Noch eine andere Überlegung kann dies klarmachen. Sittlichkeit

besteht in der Erfüllung des Unvollkommenen mit dem Vollkom-

menen, dem Gute. Nun sind aber die Güter ebenfalls nicht einzeln

da, sondern als Organismus, in einer Güterordnung. Und anderer-

seits gibt es nicht einzelne Menschen und einzelne gesellschaftliche

Gebilde, die sich zu vervollkommnen haben, sondern nur Menschen

als geistige Glieder der Gezweiung und gesellschaftliche Gebilde

als Glieder der Gemeinschaftswelt, zuletzt der gesamten Mensch-

heits-Gesellschaft. Nicht der einzelne Mensch Sokrates allein, nicht

der einzelne Staat Athen allein kann sich vervollkommnen: Mit

dem einen Menschen werden die anderen Menschen, mit dem einen

Gebilde die andern Gebilde umgebildet; / ändert sich ein Glied, so

ändert sich damit das Ganze; ändert sich das Ganze, so ändern sich

damit alle Glieder. Natürlich können die einzelnen Glieder je nach

ihrer Vita propria die Änderung ihrer Ganzheit verschieden auf-

nehmen und verarbeiten, ebenso die Gebilde, z. B. die Rechtsein-

richtungen.

1.

Der Tugendgrund

Hingebung und Mittewendigkeit stehen demnach als Urbeschaf-

fenheiten am Beginne des sittlichen Vorganges. Sie gehören jedem

sittlichen Vorgange als Elemente an, sie stehen jedem sittlichen Vor-

gange vor. Sie sind daher der Anfang aller Tüchtigkeiten, die sitt-

lichen Güter zu erlangen, aller Tugenden. Sie sind der Quellgrund,

der Mutterboden aller Tugenden. Hiermit sind wir aber bei einem

neuen Begriffe angelangt: diese beiden Urbeschaffenheiten, Hin-

gebung und Mittewendigkeit, bilden den T u g e n d g r u n d .

Im Tugendgrunde handelt es sich nicht etwa um die allgemeinste