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3. Die Grenznutzenschule
Das Smith-Ricardische Lehrgebäude stand in vielen seiner Lehr-
stücke mit der Wirklichkeit in allzu offenem Widerspruche, ganz
besonders die Wert- und Preislehre. In Deutschland hatte die me-
chanische Arbeitswerttheorie der Smith-Ricardo-Schule auch bei
den Smithianern niemals Wurzel geschlagen. Stets wurde hier eine
Nutzwerttheorie versucht — J a k o b , S o d e n , L o t z , H u f e -
l a n d , S t o r c h , H e r m a n n , in Frankreich J e a n B a p t i s t e
S a y u n d R o s s i —, welche den Gebrauchswert, den Nutzen, als
wert- und preisbildend zu erweisen suchte. Die Grenznutzenschule
war es, welche diese Absichten zu Ende führte, indem sie den jeweils
kleinsten Nutzen in einer gegebenen Kette von Genußakten, den
„Grenznutzen“, als eine r e c h e n b a r e G r ö ß e von den übri-
gen Nutzengrößen (Genußakten, Befriedigungsgefühlen) ausschied
und auf diese Weise wieder eine exakte Wertlehre aufzubauen ver-
suchte. Die Grenznutzenschule bleibt naturwissenschaftlich, mathe-
matisch, individualistisch, wie Smith und Ricardo. Das philoso-
phisch Hervorstechende an ihr ist der P s y c h o l o g i s m u s , das
methodologisch Hervorstechende der Drang zu mathematischer Ge-
staltung.
Die Begründer der Grenznutzenlehre waren — unabhängig voneinander — in
Deutschland: C a r l M e n g e r (1840—1921)
1
, in Frankreich: L e o n W a l -
r a s (1834—1910)
2
, in England: W i l l i a m S t a n l e y J e v o n s (1835 bis
1882)
3
.
Die Grenznutzenschule erreichte zwar durch das Zurückgehen auf den Nutzen
einen lebendigeren Ausgangspunkt als die mechanistische Arbeitswertlehre der
Smith-Ricardo-Schulen; sie war daher eine in manchen Stücken im Vergleich zu
diesen immerhin lebenswahrere Theorie, konnte jedoch der Quantifizierung,
Mathematisierung der alten Theorie nicht entrinnen — und wollte dies auch gar
nicht. Sie wollte liberal sein und wollte auch die philosophischen Grundlagen des
alten Liberalismus beibehalten, wie besonders Carl Mengers „Untersuchungen“
zur Verfahrenslehre beweisen
4
. Ebenso blieb sie in der Auffassung der Wirt-
1
Carl Menger: Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Wien 1871, 2. Aufl.,
Wien 1923 (Menger war Professor an der Universität Wien).
2
Leon Walras: Elements d’économie pure ou théorie de la richesse sociale
(1874—77), 4. Aufl., Lausanne 1900, deutsch von Ludwig von Winterfeld: Mathe-
matische Theorie der Preisbestimmung der wirtschaftlichen Güter, Stuttgart 1881.
3
William Stanley Jevons: Theory of Political Economy (1871), 3. Aufl.,
London 1888, deutsch: Die Theorie der politischen Ökonomie (1924), 2. Aufl.,
Jena 1929.
4
Carl Menger: Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften
und der politischen Ökonomie insbesondere, Leipzig 1883.