30
[19/20]
lungsbilanz — so würde der Verfasser dieses Buches von seinem /
Standpunkte aus sagen — ist nicht die nachträgliche „Summe“ der
Privatbilanzen, vielmehr deren Bedingung. Denn es gibt, genau ge-
nommen, keine voneinander unabhängigen Privatbilanzen. Jede
„Privatbilanz“ ist nur möglich, indem sie sich innerhalb jener, ihr
jeweils v o r g e g e b e n e n Lebensbedingungen verwirklicht, die
ihr die Gesamtbilanz darbietet. Die „Privatbilanzen“ können sich
daher nur im R a h m e n der Handels- und Zahlungsbilanz ent-
wickeln. Wie die einzelnen Wirtschafter nicht als abstrakte Einzel-
personen aufgefaßt werden dürfen, so auch nicht ihre Bilanzen als
abstrakte Privatbilanzen, sondern nur als G l i e d e r des logisch
wie zeitlich eine vorgegebene Ganzheit bildenden Körpers der
Volkswirtschaft. Wir können das in den Satz zusammenfassen:
G e s a m t b i l a n z i s t v o r E i n z e l b i l a n z .
Ist die Handelsbilanz nicht die nachträgliche „Summe der Privat-
bilanzen“, dann ist es auch nicht gleichgültig, ob ein Teil ihrer Rech-
nungsposten Ausland oder Inland betreffen; vielmehr: in der Gestaltung
des Austauschverhältnisses der eine eigene Wirklichkeit besitzenden
Volkswirtschaften untereinander liegt — schon vor der Einzelbilanz —
ein Bestimmungsgrund, warum diese Einzelbilanz so werden konnte, wie
sie wurde. Man denke nur an die Ereignisse der Inflationszeit (1920 ff.),
wo der Kurssturz des Geldes jede Privatbilanz änderte und es n i c h t
g l e i c h g ü l t i g w a r , o b d i e S c h u l d e n d e s W i e n e r K a u f -
m a n n e s i n L i n z o d e r Z ü r i c h g e m a c h t w u r d e n . Die „Pri-
vat“bilanz zeigte sich hier nicht als privat, vielmehr als G l i e d der
Kollektivbilanz. Das logisch Erste ist die Volkswirtschaft mit ihrer Ge-
samtbilanz, das Nachfolgende sind die Einzelwirtschaften mit ihren glied-
haften Sonderbilanzen. Die Volkswirtschaft ist nicht ein beliebig ab-
gesteckter Kreis von Wirtschaftern, sondern ein solcher mit g e m e i n -
s a m e n , n u r i h m e i g e n e n W i r t s c h a f t s m i t t e l n , z. B. wie
die Inflation zeigt, mit gemeinsamer Geldverfassung
1
.
Von dem Satze „Gesamtbilanz ist vor Einzelbilanz" aus wird
man erst ganz dem Wahrheitsgehalte merkantilistischen Denkens
gerecht. Man erkennt dann, daß die oben erwähnte Erweiterung
des Begriffes der Waren- zur Zahlungsbilanz, mit der man heute
glaubt, den Merkantilismus theoretisch erledigen zu können, nur
eine Begriffsverbesserung, aber noch keine Widerlegung des Mer-
kantilismus ist. Die Warenbilanz muß zwar in der Zahlungsbilanz
ihre Begründung finden, aber nur deswegen, weil die Zahlungs-
bilanz zuletzt selbst nichts anderes als eine erweiterte Warenbilanz
1
Vgl. „Kapital höherer Ordnung“, unten S. 220.