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weise anbahnten. Aber schon im mittelalterlichen Nominalismus so-
wie in der Schrift des M a r s i l i u s v o n P a d u a („Defensor pacis“,
1324)
1
liegen individualistisch-naturrechtliche Gedankengänge vor.
Marsilius vertritt klar die Souveränität des Volkes im Staate und in
der Kirche. — Althusius entwickelt den Gedanken, / daß der Staat
auf freiwillig eingegangenem Vertrag beruhe, legt allerdings zu-
gleich die „gesellige Natur“ des Menschen zugrunde. Grotius löst
den Staat vom Fürsten los und gründet ihn auf den Willen des Bür-
gers, indem er von „unveräußerlichen, unzerstörbaren Naturrech-
ten“ des Einzelnen ausgeht, die er aber aus der „ursprünglichen ge-
selligen Natur des Menschen“ ableitet, so daß auch hier noch das
soziale Prinzip neben dem individualistischen (unausgeglichen) ein-
hergeht. Das „natürliche Recht“ des Einzelnen erklärt er als ein
Gebot der Vernunft, nach welchem einer Handlung durch ihre
Übereinstimmung mit der vernünftigen Natur des Menschen Not-
wendigkeit zukommt.
Das Naturrecht ist ein in der menschlichen Natur begründetes, durch
Vernunftgebrauch gebildetes, durch Vernunft erkennbares, für alle Zei-
ten gültiges und gleichartiges Recht. Für diesen Standpunkt wird somit
die menschliche Vernunft zur Recht erzeugenden Kraft, und zwar die
Vernunft des Einzelnen, des abstrakt für sich, gleichsam als Atom ge-
dachten Einzelnen. Dadurch ist das Naturrecht 1. ein i n d i v i d u a l i -
s t i s c h e s , 2 . e i n r a t i o n a l e s , 3 . e i n u n g e s c h i c h t l i c h e s
Recht.
Das neuere Naturrecht wird aber ungleich begründet, entweder
nur aus dem Individuum heraus: reiner Individualismus; oder unter
Zuhilfenahme gesellschaftlicher Elemente: vermittelnde Formen des
Individualismus
2
. Die e r s t e r e G r u p p e v o n T h e o r e t i -
k e r n s c h a r t s i c h u m H o b b e s , d i e l e t z t e r e , g e -
m ä ß i g t e u m L o c k e .
Als Erster erklärte der englische Philosoph
Thomas Hobbes
(Hauptwerk: „Leviathan“, 1651) das staatliche Zusammenleben der
Menschen nach dem Naturrecht streng individualistisch. Hobbes
1
Verfaßt gemeinsam mit J o h a n n v o n J a n d u n o .
2
Von den Vermittlungen und Vorbehalten, die sich bei den meisten
Naturrechtlern finden — sei es vom Standpunkt der Religion, sei es vom
Standpunkte geschichtlicher Notwendigkeit aus —, ist im Obigen ab-
gesehen. Denn es handelt sich nicht um diese, sondern um die Erkennt-
nis der g r u n d s ä t z l i c h e n , d e r s y s t e m b e s t i m m e n d e n
G e d a n k e n . — Vgl. z. B. Thomas Hobbes: Leviathan, London 1651,
chapter XIV.