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göttliche Naturrecht dessen Abgeleitetheit aus dem objektiven Welt-
gesetz, aus der objektiven Gesellschaftsordnung, aus der objektiven
Sittlichkeit und Gerechtigkeit im Gegensatz zu der Ableitung des
Rechtes aus dem Subjektiven, insbesondere aus dem absoluten In-
d i v i d u u m des Naturzustandes (Sophisten, Grotius, Hobbes).
Danach ist der Gegensatz von universalistischem und individualisti-
schem Naturrechte folgender: das göttliche überindividuelle Recht ist
Ordnung, die für alle verbindlich ist und allen ihre g l i e d h a f t e Stel-
lung anweist; das individualistische Naturrecht ist Recht des grundsätz-
lich selbständigen Einzelnen, das auch dann subjektivistisch bleibt, wenn
es auf die Vernunft gegründet wird (Rationalismus des subjektiven Na-
turrechtes).
IV.
Einführung in die Grundfrage
der Gesellschaftslehre
(Individualismus — Universalismus)
Die individualistische Naturrechtslehre ist mehr als eine Rechts-
theorie, sie ist zugleich eine Theorie vom Staate und vom gesell-
schaftlichen Gemeinwesen überhaupt. Eine solche allgemeine Theorie
der Gesellschaft hat vor allem die Frage zum Gegenstande, worauf
die Gesellschaft beruhe: auf dem Individuum, oder auf dem Gan-
zen im Sinne eines Überindividuellen?
Für die
individualistische Auffassung
ist die Gesellschaft eine
Summe selbständiger Individuen, etwa einem Haufen von Steinen,
einem Wirbel von Atomen vergleichbar, in welchem doch jeder
Stein, jedes Atom ganz selbständig bleibt, eine nur in sich gegrün-
dete Existenz führt, und die Verbindung der Teile eine bloß nach-
trägliche, äußere, mechanische ist. Es wäre somit in den Individuen
allein der eigentliche Grund, das Ursprüngliche und Erste von Ge-
sellschaft und Staat gelegen. Diese Anschauung heißt „Individualis-
mus“, weil sie Gesellschaft und Staat nicht als etwas Selbständiges,
Arteigenes anerkennt, sondern grundsätzlich auf das Individuum
zurückführt
1
; ihre Hauptform ist das Naturrecht. In jeder Form
aber ist dem Individualismus der Einzelne maßgebend, nicht die
1
Der Individualismus ist eine analytische T h e o r i e und selbst keine
Politik und keine Weltanschauung, wie fälschlich behauptet wird, daher
sowohl von den wirtschaftspolitischen wie von den weltanschaulichen
F o l g e r u n g e n , die sich daraus ergeben, zu trennen. Das gleiche gilt
für den Universalismus.