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Gesamtheit. — Der Individualismus, der schon im Altertum von

den S o p h i s t e n entwickelt wurde und im neueren Naturrecht

eine vollendete Ausbildung erhielt, erscheint auf den ersten Blick

sehr natürlich und einleuchtend. Denn die Gesellschaft besteht ja

tatsächlich nur aus einzelnen Menschen. Es fragt sich aber dennoch,

ob diese Lehre richtig sei? Die genaue Prüfung zeigt, daß sie mit

falschen Begriffen arbeitet, und zwar sowohl mit einem falschen Be-

griff des Einzelnen wie der Gesellschaft. Der Individualismus denkt

nämlich den Einzelnen notwendig (indem er ihn von der Gesell-

schaft unabhängig und diese erst begründend denkt) als geistig

selbstbestimmt, selbstgenugsam (autark), gleichsam als Atom für

sich, das heißt: er denkt ihn schon vor Eingehen in eine be-

stimmte / Gemeinschaft geistig fertig — also notwendig als ab-

s o l u t e s I n d i v i d u u m . Und die Gesellschaft wird dann

folgerichtig als bloße Summierung von Einzelnen aufgefaßt, z. B.

in der Form eines Sicherheitsvereins der Einzelnen; nicht als etwas

Eigenes. Beides ist unrichtig: weder ist der Einzelne geistig selbst-

bestimmt (autark), noch ist die Gesellschaft eine bloße Summe sol-

cher Einzelner.

Die dem Individualismus entgegenstehende Anschauung heißt

Universalismus

oder

Ganzheitslehre.

Der Universalismus sagt: Das

geistige Miteinander der Menschen ist schöpferisch. Die geistige

Selbsttätigkeit des Einzelnen ist keine unbedingte, sondern es ist

ein anderer Geist, es ist Gemeinschaft nötig. Daher ist der Einzelne

von Anbeginn bereits g l i e d h a f t in jenem Miteinander, dem gei-

stigen Zusammenhange Mehrerer enthalten. Dieser, die Gemein-

schaft, ist daher als ein eigenes Etwas zu denken, und ist dann das

Überindividuelle und Primäre. — Der Universalismus erscheint auf

den ersten Blick vielleicht übertrieben, und so, als ob er dem Ein-

zelnen seine geistige Selbständigkeit nähme. Aber genau gesehen

erklärt uns er allein den Einzelnen und die Gesellschaft. Nach ihm

leitet der Einzelne das, was er innerlich ist, sein geistiges Sein und

Wesen, nicht aus sich selbst als Einzelnem ab, sondern bildet und

baut sich erst in der geistigen Gemeinschaft mit anderen auf, schafft

und erhält sich als geistiges Wesen erst durch innigste und vielfäl-

tigste Verbindung mit anderen geistigen Wesen. Da die geistige Ge-

meinschaft mindestens zwischen Zweien stattfinden muß, nennen

wir sie auch G e z w e i u n g . In jeder Gezweiung, sei es zwischen