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Dieser geistigen Gegenseitigkeit der Einzelnen in der Gezweiung

entspricht die handelnde Gegenseitigkeit der Einzelnen in der

W i r t s c h a f t . Die Wirtschaft ist dann eine Ganzheit, das ist ein

Gliederbau von Leistungen, in welchem die einzelnen Wirtschafter

durch ihre Handlungen (Leistungen) enthalten sind. Nicht die Ein-

zelnen setzen die Volkswirtschaft zusammen, sondern die Volks-

wirtschaft ist ein Gliederbau (eine Ganzheit) von Verrichtungen,

und die Einzelnen füllen (aus eigener Kraft) ihre Stellung in ihr

als Verrichtungsträger, als Glieder, aus

1

.

Zur G e s c h i c h t e d e s U n i v e r s a l i s m u s . Der Universalismus

spielte in der Geistesgeschichte eine bedeutendere Rolle als der Individua-

lismus. Für Platon war der Staat ein Organismus höherer Art. Auch

bei Aristoteles und den mittelalterlichen Scholastikern herrscht der uni-

versalistische Staatsbegriff. — In der Neuzeit jedoch wird dem Univer-

salismus der Individualismus entgegengesetzt

2

. Aber die individualistische

Auffassung des Staates wie die der Wirtschaft erwiesen sich praktisch

wie begrifflich als gleich unzulänglich. Das Bewußtsein dieser Unzuläng-

lichkeit mußte wieder erwachen. Dem deutschen Geiste besonders ent-

sprach die tiefere, universalistische Auffassung, und so ist / die Wieder-

erzeugung des Universalismus s e i n e geschichtliche Tat geworden. Die

deutsche klassische Philosophie und die Romantik waren es, welche die

universalistische Auffassung wiederherstellten. Sie fanden, daß man

den M e n s c h e n s e i n e m B e g r i f f e n a c h g a r n i c h t k o n -

s t r u i e r e n k ö n n e , o h n e i h n a l s V i e l h e i t z u k o n s t r u i e -

r e n ! Die geistige Gemeinschaft ist jenes schöpferische Ganze, in dem

das Individuum Stätte und Form seiner Entwicklung findet.

Es fehlt freilich noch viel daran, daß diese Anschauung in unsere

Bildung eingedrungen wäre und den alten individualistischen Irrtum,

der dem Einzelnen ebenso sehr schmeichelt als er ihn verarmen läßt,

völlig besiegt hätte. Dennoch ist sie die Grundlage der neueren deutschen

Sozialpolitik geworden

3

.

1

Vgl. unten S. 220 f.

2

Siehe oben S. 32 ff.

3

Vgl. darüber unten die Abschnitte über Romantik, Sozialpolitik und

Verfahrenstreit S. 116 ff., 192 ff., 188 ff. Genaueres über Individualismus

und Universalismus in meiner Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Leipzig 1930;

über ihre Bedeutung für die Volkswirtschaftslehre in meiner Schrift:

Tote und lebendige Wissenschaft. Kleines Lehrbuch der Volkswirtschaft,

4. Aufl., Jena 1935, S. 1 ff. — Konrad Schaffler-Glössl: Volkswirtschaft-

liche Verfahrenlehre unter besonderer Berücksichtigung des Verstehens-

begriffes, Leipzig und Wien 1936.