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[60/61]

formen des Freiherrn vom Stein

1

— welche die Mißbräuche / der

Zünfte und der bäuerlichen Gebundenheit beseitigen und den Städ-

ten eine ständisch unterbaute Selbstverwaltung bringen sollten —

in entschieden liberalem, Smithischen Sinne, nämlich bis zur Ein-

führung der Gewerbefreiheit (Edikt vom 28. Oktober 1810, „Stein-

Hardenbergische Reformen“ 1807 bis 1811).

Im übrigen Deutschland wurden die ländlichen Gebundenheiten in den

ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts aufgehoben. In Österreich aller-

dings erst 1848, nachdem aber die Aufhebung der Leibeigenschaft schon

unter Kaiser Josef II. (1781/82) vorhergegangen war; die Gewerbefreiheit

wurde in Österreich erst im Jahre 1859 eingeführt, 1868 die letzten länd-

lichen Gebundenheiten beseitigt. Im Jahre 1869 wurde die Gewerbefrei-

heit in der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes eingeführt. (Wei-

teres über die deutsche Entwicklung unten.)

In Frankreich blieb den Smithischen Ideen wenig Arbeit, da Natur-

recht und Physiokratie hier schon vorher herrschten. Die große Revo-

lution (1789) reißt den Bau der Jahrhunderte jäh und rücksichtslos nieder.

Alle feudalen Lasten und Vorrechte werden in einer einzigen Nacht, der

„unsterblichen Nacht“ vom 4. August 1789, unter Zustimmung des Adels

und Klerus selber aufgehoben. In der Republik fallen (1791) auch die

Zünfte und Privilegien, die Gewerbefreiheit wird endgültig eingeführt,

das Schutzzollsystem dagegen beibehalten.

Von den wissenschaftlichen Vertretern der Smithischen Lehre ist vor

allem der Franzose Jean Baptiste Say (1767—1832) zu nennen („Traité

d’économie politique“, Paris 1803

2

), „der Taufpate der Lehren von Adam

Smith auf dem Kontinent“, wie ihn Lorenz von Stein nannte. Durch die

glänzende Beredsamkeit, mit der er die neuen Gedanken vortrug, förderte

er ihre Verbreitung sehr. Er gab ihnen eine systematische Gestalt — was

Smith, der eigentlich nur eine Summe einzelner Lehren entwickelte, un-

terlassen hatte —, indem er sie deduktiv aus naturrechtlicher Vernunft-

Erkenntnis ableitete und die noch heute übliche Einteilung der Volks-

wirtschaftslehre in die Lehre von Erzeugung, Verteilung, Verbrauch be-

gründete. Say vertrat bedingungslos die wirtschaftliche Freiheit auf Grund

der Lehre von der H a r m o n i e d e r I n t e r e s s e n aller Bevölke-

rungsschichten und aller Völker (gegen den Merkantilismus) und ent-

wickelte eine „Theorie der Absatzwege“ (théorie des débouchés

3

) als Kri-

sentheorie. — Entschiedenster Freihändler war Frédéric Bastiat

1

.

1

Ein Bild dieses deutschen Staatsmannes gibt Ernst Moritz Arndt:

Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn vom

Stein, 1858. — Siehe ferner Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und

zum Stein: Ausgewählte Schriften, herausgegeben von Klaus Thiede

(= Die Herdflamme, Bd 17), Jena 1929.

2

Jean Baptiste Say: Ausführliche Darstellung der National-Oekono-

mie oder der Staatswirtschaft, übersetzt von K. E. Morstadt, 2 Bde, 1818,

3. Aufl., Heidelberg 1830.

3

Siehe unten S. 239.

4

Siehe unten S. 163 f.