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42

4.

Die f r a n z ö s i s c h e A u f k l ä r u n g .

D e r P o s i t i v i s m u s

[41]

Da wir John Locke an anderer Stelle behandeln

1

, stellen sich

uns als die nächsten Vertreter des Empirismus die Träger der fran-

zösischen Aufklärung dar. Sie sind von Anbeginn mit dem Materia-

lismus eng verbunden

2

.

Eine besondere Stellung nimmt innerhalb des französischen Empirismus

E t i e n n e B o n n o t d e C o n d i l l a c ein. In seinem „Traité des sen-

sations“ (1754) läßt er in einer Bildsäule aus Marmor nach und nach die einzelnen

Sinne, beginnend mit dem Geruchsinne, erwachen. Durch die von außen eindrin-

genden Empfindungen entstehen die Vorstellungen und durch deren Verbindun-

gen das gesamte geistige Leben, Reflexion ebenso wie Willensantriebe, die aus

Erinnerungen an empfundene Eindrücke der Lust und Unlust erklärt werden. Die

Abstraktion entsteht dadurch, daß die Seele bei den Vorstellungen, die ihr ange-

nehm sind, verweilt und sie dadurch aus anderen absondert. Das Ich ist die

Gesamtheit der Sensationen. („Le moi de chaque homme n’est que la collection

des sensations, qu’il éprouve et de celles que la mémoire lui rapeile.“)

Die mechanistische Seite der sensualistischen Psychologie kommt besonders zum

Ausdrucke in der berühmt gewordenen Schrift von J e a n d e l a M e t t r i e

„L’homme machine“ (1748). Die Maschinentheorie des Lebens, die schon Descartes

aufstellte, ist hier zum Materialismus fortgebildet. Lamettries Materialismus ist

ein biologischer. „Welche Macht übt eine Mahlzeit auf uns! Die Freude erwacht

in einem traurigen Herzen.“ Das rohe Fleisch macht wild. „ . . . die englische Na-

tion, die das Fleisch ... roh... ißt, zeigt eine größere Wildheit.“

3

„Wenn ...

alle Eigenschaften der Seele von d e r . . . Organisation des Gehirns so sehr ab-

hängen, daß sie sichtlich eben nur diese Organisation selbst sind, so liegt uns hier

eine sehr aufgeklärte Maschine vor.“

4

Der Positivismus von A u g u s t e C o m t e („Cours de Philosophie positive“,

Paris 1830—42) ist nichts anderes als ein streng durchgeführter Empirismus in der

Verfahrenlehre. Alle theologische und metaphysische Erkenntnis gehört nach ihm

den früheren Zeitaltern an und ist verfehlt. Zum Ziele führt nur die reine Be-

obachtung der wirklichen, „positiven“ Tatsachen, „... l’analyse de phénomènes

pour découvrir leurs lois effectives, c’est-à-dire leurs relations..., et ne peuvent

réellement concerner leur nature intime“

5

.

Nicht das Relativistische und Subjektivistische der Erkenntnis, das als selbst-

verständlich vorausgesetzt wird, steht also hier im Vordergrunde, sondern der

Umstand, daß alle Wissenschaft ausschließlich auf die positiven Tatsachen der

Erfahrung zurückzugehen habe, also das Verfahren. Alle Erscheinungen sind not-

1

Siehe unten S. 44 ff.

2

Siehe unten S. 52.

3

Jean de la Mettrie: Der Mensch eine Maschine, deutsch von Max Brahn,

Leipzig 1909, S. 15 (= Philosophische Bibliothek, Bd 68).

4

Jean de la Mettrie: Der Mensch eine Maschine, deutsch von Max Brahn,

Leipzig 1909, S. 46 (= Philosophische Bibliothek, Bd 68).

5

Auguste Comte: Cours de Philosophie positive, Paris 1830—42, I, 28. —

Vgl. auch oben S. 32 ff.