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wendige Folgen der N a t u r g e s e t z e . Sie gelten sowohl für die unorganische
und organische wie für die sittlich-gesellschaftliche Welt. Die Wissenschaften sind
nach Einfachheit und zunehmender Kompliziertheit / zu ordnen. Das ergibt fol-
gende „ H i e r a r c h i e d e r W i s s e n s c h a f t e n “ : Mathematik, Astrono-
mie, Physik, Chemie, Biologie, Soziologie. Die jeweils vorangehenden Wissen-
schaften bilden die Grundlage der folgenden. Die sittlich-gesellschaftlichen Wis-
senschaften sind demnach Naturwissenschaften, ihre Einheit finden sie in der von
ihm so genannten „Soziologie“
1
, welche er zum erstenmal planmäßig zu be-
handeln behauptet.
Man kann auch sagen, daß sich in dem Comtischen Gedanken eines einheit-
lichen Systems aller Wissenschaften als Naturwissenschaften der Gedanke der
L a p l a c i s c h e n W e l t f o r m e l vollendet. Denn alle normativen Wissen-
schaften, die sich sonst diesem Schema nicht fügen wollten, sind nun verschwun-
den. Früher war nur die Seelenlehre (welche Comte übrigens an die Physiologie
anknüpft) durch den Gedanken der Assoziationsgesetze bewußt der Naturwissen-
schaft eingegliedert worden. Nun sollte die über der Biologie gelagerte „Sozio-
logie“ alle geistigen Wissenschaften aufnehmen und in Naturwissenschaften ver-
wandeln.
Durch J o h n S t u a r t M i l l
2
u n d H e r b e r t S p e n c e r (1820—1903)
wurde der Positivismus in England, durch Vermittlung der ins Deutsche über-
setzten „Logik“ von Mill
3
auch in Deutschland verbreitet. Spencer betonte neben
dem „Positivismus“ besonders die Entwicklung und die Unerkennbarkeit des
Ansich der Wirklichkeit, so daß seine Lehre auch als „ E v o l u t i o n i s m u s “
u n d a l s „ A g n o s t i z i s m u s “ bezeichnet wird. — Unseres Erachtens ist in der
Tat der Agnostizismus ein notwendiger Bestandteil jedes folgerichtigen Empiris-
mus
4
.
Uber N e u p o s i t i v i s m u s siehe unten Seite 48 f.
B.
Der h ö h e r e o d e r r a t i o n a l i s t i s c h e
E m p i r i s m u s
Erwies sich auch die Erlebnisgrundlage des höheren oder ratio-
nalistischen Empirismus als grundsätzlich gleiche wie jene des ein-
fachen, so hat doch die Verschiebung des Schwerpunktes vom Sin-
neseindruck auf den Verstand
5
seine Folgen für das Begriffs-
gebäude. Zwar ist der Systemgedanke in beiden Fällen gleich und
1
Auguste Comte: Soziologie, deutsch von Valentin Dorn, eingeleitet von
Heinrich Waentig, Jena 1907 und 1911 (= Sammlung sozialwissenschaftlicher
Meister, Bd 8, 9 und 10).
2
Siehe oben S. 39.
3
John Stuart Mill: System of Logic, London 1843, deutsch von Theodor
Gomperz unter dem Titel: System der deduktiven und induktiven Logik, 2. Aufl.,
Leipzig 1884.
4
Siehe oben S. 35.
5
Siehe oben S. 35 f.