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Vorstellungen, die Descartes unterschied, die „angeborenen Ideen“. Es gibt keine

angeborenen Grundbegriffe. Alle Vorstellungen entspringen nach Locke aus

äußerer Wahrnehmung („Sensation“) oder innerer Wahrnehmung („Reflexion“),

nicht aber aus angeborenen Ideen. „Den Sätzen, ,was ist, das ist' und ,kein Ding

kann zugleich sein und nicht sein' [das heißt der Identität und des Widerspru-

ches] wird nicht allgemein zugestimmt.“ „Sie sind dem Geiste nicht von Natur

eingeprägt, weil sie den Kindern, Idioten usw. nicht bekannt sind.“

1

„Laßt uns

also annehmen, das Bewußtsein sei, sozusagen, ein weißes Blatt Papier, frei von . . .

Schriftzügen . . .: wie wird es damit versehen? Woher empfängt es jene gewaltige

Menge, womit die. . . Phantasie des Menschen es . . . beschrieben hat? .. . Darauf

antworte ich mit einem Worte: Aus der Erfahrung.“

2

Zuerst geben uns die

Sinne einfache Vorstellungen, zum Beispiel Töne, Farben; dann entstehen durch

die Zusammenfassung des Gleichartigen in den anschaulichen Vorstellungen die

a b s t r a k t e n V o r s t e l l u n g e n . Durch mannigfache V e r b i n d u n g e n

(Assoziationen) der einfachen bilden wir die zusammengesetzten Vorstellungen.

Unter diesen entsteht die „Vorstellung der S u b s t a n z “ dadurch, daß wir uns

g e w ö h n e n , ein Unbekanntes, das als Träger der wechselnden Eigenschaften

der „Dinge“ gedacht wird — die in / Wahrheit nur Komplexe von Eigenschaften

sind — zugrunde zu legen. Die Vorstellung einer Substanz ist also nach Locke

zwar nur Erzeugnis unseres subjektiven Denkens, es folgt aber, so sagt er, durch-

aus noch nicht, daß sie nicht außer uns existiert. Mit diesen Einschränkungen läßt

also Locke den Substanzbegriff bestehen: das Einzige, was ihm von der alten,

nicht-empiristischen Philosophie übrig bleibt.

In der 2. und 3. Abteilung behandelt Locke den Zusammenhang des Denkens

mit der Sprache. Indem diese willkürliche Lautzeichen für die anschaulichen

Dinge nimmt, verstrickt sie das Denken in Irrtum. — In der 4. Abteilung unter-

sucht Locke den Verstandesgebrauch. Der Syllogismus, die Deduktion habe wenig

Wert, da sich unser Denken stets auf Einzelnes beziehe.

Locke ist geneigt, den Geist auf Materie zurückzuführen, es ist dies jedoch

kein formaler Grundgedanke seines Systems, und in diesem Sinne ist der Mate-

rialismus nicht sein Systemgedanke.

Der W i l l e ist determiniert

3

. Gut ist, was Lust erweckt, S t a a t u n d

G e s e l l s c h a f t werden aus dem Naturzustande erklärt, der aber zum Unter-

schiede von Hobbes

4

friedlich gedacht ist. Der Urvertrag begründet nach Locke

keine absolute, sondern eine konstitutionelle Gewalt.

G o t t wird deistisch gefaßt, aber trotzdem auch das Christentum heran-

gezogen.

Die a r i s t o t e l i s c h e L e h r e von der Seele als einer „tabula rasa“ oder,

wie Locke sagt, von einem „weißen Blatt Papier“ sowie der aristotelische Satz,

daß nichts im Verstande sei, was nicht früher in den Sinnen war — n i h i l e s t

i n i n t e l l e c t u , q u o d n o n f u e r i t i n s e n s u — gewann durch Lockes

Lehre von der Bildung der Vorstellungen (wie früher schon durch Hobbes) erst

1

John Locke: An Essay Concerning Human Understanding, 1690, 5. Aufl.,

London 1706, deutsch: Versuch über den menschlichen Verstand, Leipzig 1911—13,

I, 2, § 4 f. (= Philosophische Bibliothek, Bd 75, 76).

2

John Locke: An Essay Concerning Human Understanding, 1690, 5. Aufl.,

London 1706, II, 1, § 2.

3

Siehe oben S. 41.

4

Siehe oben S. 41.