[49/50]
51
Erfahrungsstandpunktes, des Empirismus. Der unleugbaren Folge-
richtigkeit des Sensualismus kann der Materialismus nichts ent-
gegensetzen. Er bleibt den Nachweis schuldig, wie er h i n t e r die
Empfindungen, denen der Stoff zugrunde liegen soll, komme.
Würde er aber sogar diese unlösbare Aufgabe lösen, so bliebe
immer noch eine andere, ebenfalls unlösbare übrig: zu zeigen, wie
es die Materie denn anstellen solle, zu denken, wie der Stoff jemals
zu Geist werde! Wie widersinnig diese Vorstellung ist, zeigt sich
deutlich, wenn wir annehmen, es wären sämtliche chemisch-physi-
kalischen Veränderungen bekannt, welche z. B. im Sehnerv und im
Zentralnervensystem bei einem Lichtreize, sowie bei den Gedanken,
die sich an dessen Auffassung (Perzeption) anschließen, vor sich
gehen. Die chemisch-physikalischen Formeln, die man zur Dar-
stellung dieser Vorgänge auf ein Blatt Papier schriebe, mögen noch
so vollständig sein — sie werden nur Kohlenstoffverbindungen und
so fort enthalten, aber bis zur E m p f i n d u n g „Licht“ und dem
G e d a n k e n „das ist die aufgehende Sonne“ können sie niemals
führen. Vom S t o f f z u m G e i s t b e s t e h e n k e i n e
Ü b e r g ä n g e ! Gerade das zu fassen, zeigen sich die Materialisten
unvermögend. Logischerweise wäre nicht mehr möglich, als die
Empfindungen den jeweils beobachteten Veränderungen in Nerven-
zellen z u z u o r d n e n . Über den entscheidenden Unterschied
solcher Zuordnung, welche die leiblichen Vorgänge nur zur V o r -
Bedingung des Denkens macht, und jener Verwischung der Unter-
schiede, welche den Geist zu verfeinertem Stoffe (!) macht, geht der
Materialismus auf seichteste Weise hinweg.
Schließt nun auch die streng begriffliche Fassung des empiristi-
schen Grunderlebnisses den materialistischen Systemgedanken aus,
weil der letztere eine „ontologische Transzendenz“ behauptet, der
Empirismus aber nur von der Gegebenheit der Erfahrung ausgeht,
daher notwendig Sensualismus bleiben muß; so ist nichtsdesto-
weniger die naive Meinung des Empirismus und s e i n w a h r e r
S i n n d e n n o c h d e r M a t e r i a l i s m u s . Denn inhaltlich
deutet ja doch alle Sinnlichkeit der Erfahrung auf Stofflichkeit und
auf mechanische, weil nicht-sinnvolle / Natürlichkeit hin. Dies ist
der Grund, warum in der Geschichte der Philosophie Empirismus
und Materialismus stets so eng beisammen stehen.