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die die früheren Begriffe weiter, indem er auf die Gedanken der Nominalisten
und auf Descartes zurückgreift (zum Beispiel im Angriffe auf den Substanz-
begriff).
D a v i d H u m e s Lehre begründet ebenfalls keine grundsätzliche Verschie-
denheit zwischen den empiristischen Richtungen, sondern erfüllt nur einige jener
Forderungen, welche in deren Lehrbegriffen schon beschlossen lagen. Seine
Skepsis, seine Zerstörung des letzten Restes des Substanzbegriffes, seine Zerstö-
rung des Ich-Begriffes, seine Begründung der Seelenlehre ohne Seele, seine na-
turalistische Fassung der Seelenlehre, endlich sein rein äußerlicher und psycholo-
gischer Ursächlichkeitsbegriff — sie alle lagen durchaus auf dem Wege der ande-
ren Systeme. Seine Fassung der Ursächlichkeit als bloßer Abfolge von Erschei-
nungen, die wir durch „Gewohnheit“ verstetigen, ist nichts als die logische Fol-
gerung aus der Leugnung des Substanzbegriffes.
Die Unterschiede zwischen den empiristischen L e h r g e b ä u d e n d e r
G e g e n w a r t sind nur geringfügig. Das ging schon aus früheren Hinweisen
hervor
1
. Meist hegen sie nur in den induktiven Wegen, die zur Begründung
gesucht werden. So spricht der E m p i r i o k r i t i z i s m u s vom „System C“
(Centralnervensystem) und von „Vitaldifferenzen“, während der P r a g m a -
t i s m u s mehr von der darwinistischen Seite ausgeht, dem Erfolge im Daseins-
kampfe. Empiriokritizismus und Logistik erstreben vor allem mathematische
Ansätze (Richard Avenarius, Ernst Mach
2
). /
Der Hauptunterschied des neuesten vom älteren Empirismus darf wohl über-
haupt in den Versuchen zu strengerer Durchführung des u r s ä c h l i c h - m e -
c h a n i s c h e n u n d d a m i t z u l e t z t m a t h e m a t i s c h e n V e r f a h -
r e n s erblickt werden, jenes Verfahrens, für das die Physik, seit Galilei und
Newton Vorbild war.
Überblickt man diese Gegensätzlichkeiten zwischen den empiri-
stischen Lehrgebäuden im Ganzen, so schmilzt die Vielfalt zusam-
men: Man findet nicht grundsätzliche, sondern nur brüderliche Zwi-
stigkeiten, in denen sich die Einheit der S y s t e m g e d a n k e n
und ihrer E r l e b n i s g r u n d l a g e n (Eingebungsgrundlagen)
überall behauptet.
Die an ihrem Orte jeweils gekennzeichneten Abweichungen in
den Erlebnisgrundlagen — zwischen dem einfachen und dem höhe-
ren Empirismus einerseits sowie dem romantischen Einschlage der
Skeptiker andererseits —, die daraus sich ergebenden Verschieden-
heiten der B e g r i f f s g e s t a l t u n g e n — mehr induktiv
oder mehr rationalistisch und ähnliches — und schließlich die eben-
falls sich daraus ergebende Kennzeichnung der F e h l - u n d
M i s c h g e s t a l t u n g e n geben einen untrüglichen Führer durch
die gesamte Geschichte des Empirismus ab.
1
Siehe oben S. 47 f.
2
Siehe oben S. 48.