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schutz wenigstens teilweise die Folgen der Bevölkerungsvermehrung

tragen.

Unter den Sozialisten hat K a r l M a r x Gründe vorgebracht,

die auf einer Umkehrung des Malthusischen Gedankenganges be-

ruhen.

Die überschüssige Arbeiterbevölkerung, die von ihm so genannte

industrielle Reservearmee (die Arbeitslosen), sei nicht durch Übervölke-

rung, sondern durch die fortschreitende Verwendung arbeitsparender

Maschinen entstanden. Sonach sei es die Planlosigkeit der kapitalistischen

Wirtschaft, die fortwährend Arbeiter freisetzt. Übervölkerung wäre da-

nach eigentlich ein Verteilungs-, kein Erzeugungsfehler. — Hieraus ergibt

sich auch der Begriff einer verschiedenen Fassungskraft („Kapazität“) an

Bevölkerung für die verschiedenen Wirtschaftsordnungen, denn in einer

sozialistischen Ordnung könnte ja nach Marx die „Reservearmee“ so-

gleich nützliche Verwendung finden; die gegenwärtige Übervölkerung

erscheint daher nur als eine r e l a t i v e Übervölkerung

1

. — Der Begriff

der relativen Übervölkerung schon bei L i s t

2

.

Der Begriff einer bloß relativen Übervölkerung begründet keinen

entscheidenden Einwand gegen Malthus. Vielmehr hat Malthus selbst

mit diesem Begriffe, wenn auch nicht mit dieser Bezeichnung, gearbeitet

und die verschiedene Fassungskraft der einzelnen Wirtschaftsstufen und

-Ordnungen an Bevölkerungen festgestellt. Diese Einsicht ist ja auch

ganz unerläßlich, soll man verstehen, warum ein Land, das Jäger und

Hirten beherbergt, weniger Menschen ernähren kann als ein solches,

das von Ackberbauern und Gewerbefleißigen bewohnt wird. Auf d e r -

a r t i g e n F o r t s c h r i t t e n b e r u h t j a h a u p t s ä c h l i c h d i e

M ö g l i c h k e i t d e s a b s o l u t e n B e v ö 1 k e r u n g s w a c h s t u m s

auf demselben Raume. Was Malthus behauptet hat, war nur, daß jede,

auch die wirtschaftlich fortschreitende Gesellschaft grundsätzlich über-

völkert sei. Marxens Einwand hat übrigens kurze Beine. Gesetzt, es würde

durch eine kommunistische Organisation der Wirtschaft die augenblick-

liche Übervölkerung aufgehoben — entstünde von nun an wieder Über-

völkerung oder nicht? Das ist die rein theoretische Frage. Darüber

schweigt Marx. / Dagegen haben z. B. Platon und Aristoteles für ihre

Idealstaaten vorausgesehen, daß die Bevölkerung bald rascher anwachsen

wird als die Unterhaltsmittel, daher Auswanderersiedlungen angeordnet.

Ein anderer, jetzt von Franz Oppenheimer

3

vertretener Ein-

wand, den in verwandter Form C a r e y u n d B a s t i a t

4

, F l e n r y

G e o r g e

5

u n d E u g e n D ü h r i n g gemacht haben, sagt: daß das

1

Siehe unten S. 172.

2

Siehe unten S. 153.

3

Franz Oppenheimer: Das Bevölkerungsgesetz des Robert Malthus

und die neuere Nationalökonomie, Berlin 1901.

4

Über beide siehe unten S. 159 ff.

5

Henry George: Fortschritt und Armut, Eine Untersuchung über die

Ursachen der industriellen Krisen, deutsch von C. D. F. Gütschow, Berlin

1881. — Vgl. unten S. 162.